Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
– oder die Krieger hätten es gefunden. Dann stünde sie jetzt nicht vor der schwierigen Entscheidung: anrufen oder nicht anrufen?
Theoretisch war es eine einfache Entscheidung. Die Familie ging vor. Immer. Doch wie sie langsam feststellte, waren die Dinge in der Praxis nicht ganz so einfach. Obwohl die Krieger den Aufenthaltsort ihrer Familie seit Langem kannten, hatten sie nicht zugeschlagen. Ein Punkt zu ihren Gunsten. Aber auch die Jäger hatten nie versucht, ihrer Familie zu schaden. Doch was, wenn sie sich entschied, den Jägern zu helfen, und es diesen nicht gelang, die Krieger unschädlich zu machen? Immerhin war es ihnen die ganzen letzten Jahrtausende nicht gelungen. Die Krieger würden nicht lange brauchen, um herauszufinden, dass sie den Feind unterstützte, und sie endgültig ausschalten.
Andererseits: Wenn es ihr jetzt nicht gelang, die Jäger zu kontaktieren, würden diese vielleicht versuchen, in die Burg einzudringen und sie zu befreien. Vielleicht würde es sogar zu einem Kampf kommen. Eine Gefahr für Ashlyn und das Baby in ihrem Bauch. Ebenso für Anya. Und für Reyes.
Danika blickte hinunter auf ihre Hände. Die Tastatur des Handys verschwamm vor ihren Augen. Reyes hatte sie so gut beschützt. Und morgen würde er sie zu ihrer Familie begleiten. Oh Gott, ihre Familie. Ihr ganzer innerer Konflikt schmolz auf einmal zusammen, und sie konnte nur noch an die Menschen denken, die sie liebte.
Sie lächelte vor Rührung und Glück. Sie lebten, und sie waren zusammen. Zwar konnte sie sich nicht erklären, warum ihre Großmutter das Haus ihrer Freunde ohne ein Wort verlassen hatte und dennoch in Oklahoma geblieben war, aber es war ihr auch egal. Auch wusste sie nicht, warum die drei zusammengeblieben waren und so das Risiko erhöht hatten, gefasst zu werden, doch auch das spielte letztlich keine Rolle. Hauptsache, sie lebten. Das war alles, was zählte!
Sie musste Stefano anrufen, um sich noch etwas mehr Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Und zwar jetzt, bevor Reyes zurückkam. Sie verdrängte einen plötzlichen Anflug von Angst, wählte die Nummer und hielt sich mit zitternder Hand das Telefon ans Ohr.
„Happy House“, meldete sich eine tiefe Stimme.
„Ich … bin’s.“
Es folgte eine spannungsgeladene Pause, dann ließ ihr Gesprächspartner seine Tarnung als überarbeiteter, leicht gestresster Angestellter fallen. „Du bist also noch am Leben.“
„Ja. Sie haben mich gut behandelt“, gab sie zu.
„Der Teufel lächelt immer, bevor er den Todesstoß versetzt.“ Es knisterte und rauschte in der Leitung. „Was hast du herausgefunden?“
„Es gibt noch einen anderen Dämon, der irgendwo da draußen herumläuft. Hoffnung. Und er ist ihr Feind. Sonst habe ich nichts herausbekommen. Sie halten mich hier isoliert und haben mich über dich und deine Gruppe ausgefragt.“
„Noch ein Dämon?“ Das Geräusch eines Stiftes war zu hören, der über Papier kratzte. „Und was hast du ihnen erzählt?“
„Dass ihr Jäger mich über die Krieger ausgefragt habt, dass ich euch jedoch keine Antworten zu geben vermochte.“ Das zumindest entsprach der Wahrheit.
„Ist es dir möglich, die Burg nach Zeitungen, Bildern und sonstigen Informationsquellen zu durchsuchen, aus denen hervorgeht, womit sie sich gerade beschäftigen und was sie planen?“
„Nein, ich bin in einem der Zimmer eingeschlossen.“
„Und du kennst dich mit Schlössern nicht aus?“
„Nein.“ Eine erneute Lüge.
„Hast du erwogen …“ Seine Stimme verstummte.
Und da diese Stimme unmissverständlich suggerierte, dass sie schnellstmöglich Antworten wollte, griff Danika seinen Satz auf: „Ich … ich …“ Aber sie brachte es einfach nicht über die Lippen.
„Denk noch mal darüber nach.“ Er machte eine Pause. „Alles, was du tust, ist für die gute Sache. Erinnere dich an das, was ich dir erzählt habe. Frieden. Harmonie. Kein Ehebruch mehr, kein Selbstmord. Und denk an das Wohl deiner Familie.“
Auf seine fanatische Weise sorgte er sich tatsächlich um die Welt und die Menschen und war offenbar bereit, alles für ihr Wohlergehen zu geben. Er war dabei nicht gänzlich altruistisch, aber er glaubte schon daran, dass die Welt perfekt und friedvoll sein würde, wenn die Herren der Unterwelt erst einmal vernichtet wären.
Danika selbst wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. Reyes hatte gesagt, dass das Böse so lange regieren würde, wie die Menschen einen freien Willen hätten, um sich für das Böse zu
Weitere Kostenlose Bücher