Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
stellte, sogar über die Liebe. Warum also sollte er es nicht tun? Etwa ihretwegen?
Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen. „In Wahrheit waren es die Jäger, die mich hergebracht haben“, sagte Gwen und knetete nervös die Bettdecke.
„Gwen“, brachte Sabin warnend hervor.
„Sie müssen alles wissen.“ Um seinetwillen und um ihrer selbst willen. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und erzählte ihren Schwestern von ihrer Gefangenschaft, ohne auch nur ein Detail auszulassen. Während sie sprach, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Es vergingen nur wenige Minuten, aber es waren die demütigendsten Minuten ihres Lebens. Genau wie ihre Schwestern bewunderte Sabin Stärke und Bösartigkeit. Doch sie stand hier und stellte ihre Schwäche ausgerechnet vor den einzigen Menschen zur Schau, die ihr etwas bedeuteten.
Er überraschte sie, als er ihr mit dem Daumen zärtlich die salzigen Tränen von den Wangen strich. Das brachte Gwen jedoch nur noch mehr zum Weinen.
Als sie fertig war, erfüllte Stille den Raum. Vor angespannter Erwartung schien die Luft anzuschwellen und die Zeit stehen zu bleiben.
Taliyah war die Erste, die etwas sagte. „Wie haben sie dich erwischt?“
Der kalte Ton ihrer Stimme ließ Gwen erzittern. „Als Tyson eines Morgens zur Arbeit gegangen ist, hat er sein Handy vergessen, und ich wusste, dass er es brauchen würde. Aber er war schon zu weit die Straße hinunter, als dass ich ihn mit Menschengeschwindigkeit hätte einholen können. Deshalb habe ich …“ Sie schluckte. So ein dämlicher Fehler. Sie hatte ihn seither jeden Tag bereut. „Ich habe meine Flügel benutzt und ihn vor dem Büro abgefangen. Die Jäger haben mich gesehen. Sie dachten, ich wäre einfach aus dem Nichts aufgetaucht, aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich vermute, sie sind mir nach Hause gefolgt und haben dann bis zum späteren Abend gewartet, bis Tyson und ich …“, wieder schluckte sie, „… eingeschlafen waren.“
„Du hast mit Tyson in einem Bett geschlafen?“, fragten drei Frauenstimmen unisono.
„Was ist das mit euch Harpyien und dem Schlafen?“Sabin spannte die Muskeln an und versteifte sich. „Nicht dass wir uns missverstehen: Ich finde, man kann durchaus angewidert sein, wenn jemand mit einem Hühnermann im Bett liegt. Tyson, dieser Mistkerl, muss sterben. Er hat sie nicht beschützt.“
„Genauso wenig wie du“, entgegnete Taliyah trocken.
„Ich bin nur dank Sabin noch am Leben.“ Gwen schenkte ihm ein zittriges Lächeln. „Und Tyson ist kein schlechter Kerl. Er hat versucht, mich zu retten, bevor sie ihn k.o. geschlagen haben.“ Obwohl er wütend auf sie gewesen war.
Als er an jenem Abend von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte er nicht mit ihr über die morgendlichen Geschehnisse sprechen wollen. Sie hatte ihn zu Tode erschreckt, als sie vor ihm am Büro angekommen war. Außerdem hatte er bereits andere merkwürdige Dinge an ihr festgestellt.
Sie hatte ihre dunkle Seite so gut es ging versteckt, aber manchmal schimmerte sie eben trotzdem durch. Und so war Tyson zu Hause nicht selten von Löchern in der Wand, zerrissenen Laken und zerbrochenem Geschirr empfangen worden. Einmal, während eines albernen Streits darüber, wer die DVD aussuchen durfte, die sie sich ansehen wollten, hatte sie ihn sogar so fest gegen eine Wand gestoßen, dass der Putz auf ihn gefallen war. Sie hatten sich geküsst und aufgeräumt, doch das war der Anfang vom Ende gewesen.
„Jedenfalls“, fuhr sie fort, „fand ich mich gefesselt, bewegungsunfähig und kaum in der Lage zu atmen wieder, als mich die Jäger nach Ägypten gebracht hatten. Sie sperrten mich ein, und zwölf Monate später haben Sabin und die anderen Herren mich befreit und hierhergebracht.“
„Du hast die Männer, die für ihre Qualen verantwortlich waren, natürlich getötet, nehme ich an?“, wollte Taliyah von Sabin wissen.
Er nickte. „Gwen hat einen getötet. Und ich ein paar andere.“
Ihre blassblauen Augen flackerten wütend. „Warum nicht alle? Und, gut gemacht, Gwen“, fügte sie mit einem anerkennenden Nicken hinzu.
Bevor Gwen gestehen konnte, dass es ein Unfall gewesen war, sagte Sabin: „Wir halten die Überlebenden in unserem Kerker gefangen und foltern sie, um an Informationen zu kommen.“
Taliyahs Schultern entspannten sich leicht. „Das geht in Ordnung.“ Dann wandte sie sich wieder an Gwen. „Hast du etwas gegessen?“
Gwen warf Sabin einen flüchtigen Seitenblick zu. Sie erinnerte sich
Weitere Kostenlose Bücher