Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
die Hölle schlichen, aber alle stellten Visionen dar, die sie – als das Allsehende Auge – einst gehabt hatte. Durch diese Gemälde lernten sie mehr über die Geister in sich und über die Götter, von denen sie jetzt kontrolliert wurden.
Natürlich hatte Anya die Bilder von Himmel und Hölle durch noch mehr Extras ergänzt. Zum Beispiel durch Bilder, die nackte Männer zeigten. Zu jedermanns Entsetzen war es ihr gelungen, sie vor dem Bombenangriff der Jäger in Sicherheit zu bringen. Nur ein einziges Mal hatte Sabin versucht, sie abzuhängen. Am nächsten Tag hatte er ein Aktgemälde von sich an der Wand vorgefunden. Wie die Göttin es geschafft hatte, es so schnell – und so akkurat – anzufertigen, war ihm nach wie vor ein Rätsel. Aber er würde es nie wieder wagen, eines ihrer Bilder abzunehmen.
Sabin bog um eine Ecke und ging durch die offen stehende Tür in den Gemeinschaftsraum, von wo aus er die zweite Treppe zu Luciens und Anyas Zimmer hinaufgehen wollte. Aus dem Augenwinkel sah er eine große, schlanke Gestalt. Er blieb an der Tür stehen und entdeckte Anya. Mit dem ultraknappen Lederkleid und den hohen, mit Nieten besetzten Stiefeln war sie so perfekt, wie eine Frau nur sein konnte. Ohne den kleinsten Makel. Abgesehen von ihrem verschrobenen Sinn für Humor.
Im Augenblick spielte sie mit ihrem Freund William das Videospiel „Guitar Hero“. Ihr Kopf bewegte sich ruckartig zum unregelmäßigen Takt, sodass die Haarsträhnen nur so flogen. William war unsterblich und – wie die Herren – vor langer Zeit aus dem Himmel verbannt worden. Während sie die Welt mit ihren Missetaten fast zerstört hatten, bestand sein Verbrechen darin, die falsche Frau verführt zu haben. Oder zwei Frauen. Oder drei…tausend. Wie Paris hatte er mit jeder Frau geschlafen, die ihn gewollt hatte, ob verheiratet oder nicht. Sogar mit der Götterkönigin. König Zeus hatte sie in flagranti erwischt und war, wie William zu sagen pflegte, „ausgeflippt“.
Nun hing sein Schicksal an einem Buch, an einem Buch, das Anya ihm gestohlen hatte und aus dem sie ihm hin und wieder eine Handvoll Seiten zurückgab. Einem Buch, das angeblich prophezeite, dass ihn ein Fluch befiele – der mit einer Frau verbunden war.
Während der Krieger Schlagzeug spielte, beäugte er erwartungsgemäß Anyas Po, als wäre er ein Bonbon und als wäre William selbst jemand, der lange nichts Süßes mehr bekommen hatte. „Das könnte ich den ganzen Tag machen“, sagte er schwärmerisch und wackelte dabei mit den Augenbrauen.
„Achte auf den Rhythmus“, ermahnte Anya ihn. „Du hältst fast nie den Takt und ziehst deine Band damit runter.“
Eine Pause entstand, dann brachen beide in Gelächter aus.
„Lob ihn nicht, Gilly! Er hat nicht sein Bestes gegeben. Nur ein Mädchen mit einem Hang zu … ach, vergiss es. Sag ihm einfach nur, wie schrecklich er ist!“ Anya wirbelte durch die Luft, jedoch ohne langsamer Gitarre zu spielen.
Gilly war hier? Sabin sah sich um, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Dann bemerkte er die Kopfhörer, die Anya und William trugen. Sie spielten also online mit Gilly.
Sabin lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ungeduldig darauf, dass das Lied endlich vorbei war. „Wo ist Luden?“
Weder Anya noch William schraken zusammen oder zeigten irgendwie sonst, dass sie von seiner Anwesenheit überrascht waren.
„Er begleitet Seelen“, entgegnete Anya und warf die Gitarre aufs Sofa. „Ja! Ich habe fünfundneunzig Prozent geschafft. Gilly, du hast achtundneunzig, und der arme William hat nur sechsundfünfzig.“ Pause. „Was habe ich dir gesagt? Lobe nie den Mann, der uns die gute Laune verdorben hat. Ja, du auch. Bis zum nächsten Mal, chica.“ Sie nahm den Kopfhörer ab und warf ihn neben die Gitarre. Dann griff sie nach einer Pappschachtel voller Käseecken und begann zu essen, wobei sie genießerisch die Augen schloss.
Sabin lief das Wasser im Mund zusammen. Käseecken – sein Lieblingsessen. Irgendwie musste sie gewusst haben, dass er herkommen würde; sie wollte ihn quälen, dieser Plagegeist. „Gib mir ein Stück ab“, verlangte er.
„Hol dir doch deine eigenen“, erwiderte sie.
William warf seine Drumsticks in die Luft, fing sie wieder auf und legte sie auf das Schlagzeug. „Egal wie sehr ich den Takt nicht halte, ich mache trotzdem ganz zauberhafte Musik.“
„Ha! Ich habe dich die ganze Zeit getragen.“ Anya verschlang die
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