Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
Rolle gespielt. Er hatte gewusst, dass sie in seiner Nähe war. Woher, musste sie noch herausfinden. Eigentlich hätte sie nicht wahrnehmbar sein sollen, körperlos wie ein Phantom der Nacht. Und jetzt, da sie in Fleisch und Blut vor ihm lag und ihre Geheimnisse ausplauderte, sah er vermutlich eine noch größere Bedrohung in ihr. Wahrscheinlich betrachtete er sie als Feindin.
Wahrscheinlich? Sie lachte trocken. Natürlich! Seine Fragen hatten sich wie Peitschenhiebe angefühlt und tiefe Wunden in ihre Seele gerissen. Oh ja. Sie hatte es vermasselt. Jetzt würde er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Na ja, außer ihr die angekündigte Folter und den versprochenen Tod zu gewähren.
Du hast dich doch nicht mit letzter Kraft aus den Tiefen der Hölle gekämpft, um in dieser Burg umgebracht zu werden. Sie hatte sich mit letzter Kraft aus der Hölle gekämpft, um die Chance zu bekommen, mit Aeron zusammen zu sein. Ungeachtet der Möglichkeit zu scheitern.
Du kannst es schaffen. Nach Wochen intensiver Beobachtung hatte sie das Gefühl, Aeron ziemlich gut zu kennen. Er war diszipliniert, distanziert und brutal ehrlich. Er vertraute niemandem außer seinen Freunden. Schwäche war ein Wesenszug, den er nicht tolerierte. Und dennoch ging er mit denen, die er liebte, freundlich, fürsorglich und achtsam um. Ihr Wohlergehen stand für ihn über allem anderen. Ich will auch so geliebt werden.
Wenn er sie doch nur hätte sehen können, bevor sie aus dem einzigen Zuhause ausgestoßen worden war, das sie je gehabt hatte. Wenn er sie doch nur gesehen hätte, bevor ihr die Fähigkeit zu fliegen genommen worden war. Bevor ihre neu entdeckte Gabe, flammende Waffen aus Luft zu formen, ausgelöscht worden war. Bevor ihre Kraft, sich vor dem Bösen dieser Welt abzuschirmen, vernichtet worden war.
Jetzt …
War sie schwächer als ein Mensch. Da sie sich Zeit ihres jahrhundertelangen Lebens eher auf ihre Flügel als auf ihre Beine verlassen hatte, konnte sie nicht einmal anständig gehen. Was, wenn sie es nicht schaffte?
Ihr entfuhr ein Schluchzen. Sie hatte ihr Zuhause und ihre Freunde aufgegeben – für Schmerz, Erniedrigung und Hilflosigkeit. Wenn Aeron sie nun auch verstieße, wüsste sie nicht, wohin sie gehen sollte.
„Weine nicht“, sagte Aeron mit angespannter Stimme.
„Ich … kann nicht … anders“, brachte sie unter heftigem Schluchzen hervor. Sie hatte erst ein Mal Tränen vergossen – und auch damals war Aeron der Grund gewesen. Damals, als sie erkannt hatte, dass ihre Gefühle für ihn ihren Selbsterhaltungstrieb komplett aushebelten.
Jetzt hallte das Ausmaß ihrer folgenschweren Entscheidung brüllend durch ihren Kopf. Sie war allein. Gefangen in einem zerbrechlichen Körper, den sie nicht verstand, und abhängig von der Gnade eines Mannes, der einer nichts ahnenden Öffentlichkeit von Zeit zu Zeit verheerenden Schaden zufügte. Einer Öffentlichkeit, die glücklich zu machen einst ihre Aufgabe gewesen war; die Aufgabe einer Glücksbotin.
„Versuch es, verdammt noch mal.“
„Kannst du mich … vielleicht … ich weiß nicht … festhalten?“, fragte sie, immer wieder unterbrochen von Schluchzern.
„Nein.“ Er klang, als entsetzte ihn allein der Gedanke daran. „Du wirst einfach augenblicklich aufhören.“
Doch sie weinte nur noch mehr. Wäre sie zu Hause gewesen, hätte ihr Mentor Lysander sie in den Arm genommen und ihr beruhigende Worte ins Ohr gesäuselt, bis sie sich wieder gefangen hätte. Zumindest glaubte sie, dass er das getan hätte – in der Praxis hatte sie diese Theorie nie getestet.
Der arme, liebe Lysander. Wusste er, dass sie fort war? Dass sie nie zurückkehren könnte? Er hatte gewusst, dass sie von Aeron fasziniert war. Jede freie Minute hatte sie in der Burg verbracht und ihn heimlich beobachtet, unfähig, die schreckliche Aufgabe zu erledigen, die man ihr auferlegt hatte. Aber Lysander hatte nie damit gerechnet, dass sie alles für diesen Mann aufgäbe.
Und ehrlich gesagt hatte auch sie das nicht getan. Nicht so richtig jedenfalls.
Möglicherweise hätte sie damit rechnen sollen, denn ihre Schwierigkeiten hatten schon begonnen, bevor sie Aeron überhaupt zum ersten Mal gesehen hatte.
Vor einigen Monaten hatte sie goldene Daunen in ihren Flügeln entdeckt. Doch Gold war die Farbe der Krieger, und sie hatte nie ein Kriegerengel sein wollen – auch wenn sie dadurch in eine höhere Position aufgestiegen wäre.
Beim Gedanken an ihre Traurigkeit seufzte sie. Bei den
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