Die Herren von Buchhorn
bereits im goldenen Sonnenschein vor ihnen. Gerald konnte die verlassenen Gestänge sehen, an denen die Fischer ihre Netze zum Trocknen aufspannten. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass dies der letzte Weg seiner Eltern gewesen war. Eine seltsame Mischung aus Trauer und Dankbarkeit erfüllte ihn, als er begriff, dass er ihnen ein letztes Mal so nahe sein durfte. Das Boot trug sie gemächlich weiter, sodass bald die Insel sichtbar wurde, auf der das Kloster ›Unserer Lieben Frau unter den Linden‹ gebaut war. Das Frauenstift schimmerte rötlich im Morgenlicht, das sich über dem Pfänder auf Land und See ergoss.
»Das Kloster sieht von hier draußen wunderschön aus.«
»Gott liebt die Seinen, Gerald«, sagte Eckhard.
Geralds Blick streifte beinahe ehrfürchtig den Sandstein, dessen Quader mit Mörtel verfugt und mit glitzernden Punkten durchsetzt waren. Das Funkeln begann erst, als sie das Stift schon zur Hälfte passiert hatten, und verschwand wieder, als sie das Ostufer der Insel erreichten.
»Was war das?«
»Was meinst du?«
»Dieses Aufglitzern im Mauerwerk.«
»Im Stein? Gottes Perlen, nehme ich an. Schau lieber nach vorn.«
In diesem Augenblick erklang ein jammervoller Aufschrei. Gerald, der den schlafenden Mönch vollständig vergessen hatte, schrak so heftig zusammen, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
»Gott der Herr, das Boot hat sich losgerissen!« Bruder Johannes quälte sich auf die Füße. Dann sah er die beiden Männer und stutzte. »Oh, Bruder Eckhard.«
»Du hast einen wahrhaft gottgesegneten Schlaf«, bemerkte Eckhard bissig. »Es wird Zeit, dass du wieder ins Kloster zurückkehrst.«
Johannes plumpste auf eine der Ruderbänke. »Gott vergebe mir. Aber als gestern Abend dieser Fischer ankam und mit mir über Gottes Einfluss auf die Fische reden wollte, da habe ich ihm Gottes Wirken erklärt. Zum Dank hat er mir ein Krüglein Wein mitgegeben!«
»Das dachte ich mir schon. Übernimm jetzt das Ruder.«
Johannes Blick schweifte zu Gerald. »Wer ist er?«
»Der Sohn des Schmieds, dessen Frau in eurem Spital gestorben ist.«
Johannes faltete die Hände und sah zum Himmel auf. »Herr, nimm die Seele der armen Frau gnädig bei dir auf. Sie …«
»Bete still, aber erst nimm das Ruder!«
Mit einem mürrischen Blick trollte der Mönch sich ans Ruder, während Eckhard sich zu Gerald in den Bug stellte.
»Er mag dich nicht sehr, oder?«
»Die meisten der Gallusmönche stören sich an gewissen weltlichen Anwandlungen des Bischofs. Ich als sein Sekretär bin eine von ihnen.«
»Oh.«
Eckhard lächelte, und zum ersten Mal kam er Gerald richtig menschlich vor. »Mach dir keine Sorgen um mich.«
Gerald nickte. »Ist das Bregenz?«
Eckhard beschirmte die Augen mit der Hand. »Ja, mein junger Freund. Dort, auf dem Vorberg, siehst du die Oberstadt, wo der Junker und einige gut betuchte Bürger wohnen. Dort unten zum See hin erstreckt sich die Unterstadt.« Er verlor sich in einer kleinen Geschichtslektion. »Der lateinische Name der Stadt lautet Brigantium. Die heidnischen Römer besaßen in der Oberstadt ein wehrhaftes Kastell. So entwickelte sich im Schutz der Oberstadt die Unterstadt. Die Hafenanlage geht auch auf die Heiden …«
»Wo ist Ludowigs Haus?«, unterbrach Gerald hastig.
»Das weißt du besser als ich.«
Gerald strengte seine Augen an und erkannte das Anwesen, das auf die Unterstadt hinabblickte. »Da!«
»Ah ja, ich sehe es. Ein stolzes Anwesen für einen stolzen Mann.«
Mit diesen Worten löste sich Eckhard von Geralds Seite und nahm wieder im Heck bei dem Mönch Platz. Wenig später fuhren sie im Hafen ein.
Wer in diesem Moment durch das Fenster des kleinen Hauses, in dem der Pfaffe von Buchhorn wohnte, geblickt hätte, wäre sicher erstaunt gewesen über den Anblick der beiden Männer, die sich in der Mitte der Stube gegenüberstanden. Beide waren von gleicher Größe und gleichem Körperbau, beide hatten sie ein schmales Gesicht und einen eisgrauen Haarkranz.
»Meinen Umhang«, befahl der Bischof seinem Gegenüber, das sich auf den zweiten Blick als ein paar Jahre jünger erwies. »Ist alles nach Wunsch gegangen?«
»Ja, Euer Gnaden!« Der Schreiber legte den Umhang ab und reichte ihn seinem Herrn.
»Du wartest hier, bis man dich holt.« Salomo warf den roten Mantel um die Schultern und schloss ihn mit der Fibel. »Der Pfaffe weiß nur so viel, wie ihn angeht. Er dient Gott dem Herrn und fragt nicht.« Er deutete auf den Tisch, auf dem ein
Weitere Kostenlose Bücher