Die Herren von Buchhorn
Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Du hast es doch gehört. Sie werden erst die Umgebung überprüfen. Du hast genug Zeit, wenn du sofort losreitest.«
»Wenn Ihr erlaubt, gehe ich lieber zu Fuß. Ich kenne …«
»Dann lauf!«
»Ja, Herr.«
Gerald trat beiseite, damit Fridrun an ihm vorbeigehen konnte, doch als er die Tür hinter sich zuzog, fasste sie seine Hand. Einen Augenblick lang sahen sie sich stumm in die Augen, dann strich ihm Fridrun sanft durch die widerspenstigen Locken und lief davon.
»Rechts oder links?« Gerald trommelte mit den Fingern gegen den Stamm der alten Eiche, die die Weggabelung beschattete. Die Schrunden des alten Baums waren so tief, dass die obersten Glieder seiner Finger darin verschwanden. Dunkle Bilder aus seiner Erinnerung stiegen auf, er selber war ein Kind, sein Vater am Leben und ein Mann, wilder und mächtiger noch als der alte Baum, zeigte ihm die Wege und lehrte ihn die Stimmen des Waldes verstehen.
»Also nach rechts. Danke, Ohm Sigurd.« Er rannte weiter. Der Pfad schlängelte sich zwischen den Baumriesen hindurch, Gras und Gesträuch wucherten immer dichter. Schweiß rann Gerald aus allen Poren, und sein Atem ging unregelmäßig. Er krallte die Hand in die Seite und lief weiter. Endlich sah er den Teufelsbau. Die verfallenden Steinmauern schienen gegen die immer üppiger wuchernde Vegetation anzukämpfen, ein tapferer, vergeblicher Kampf einer vergangenen Zeit. Gerald verlangsamte seinen Dauerlauf und schlich näher. Er wusste nur zu gut, wie man über einen der losen Steine stolpern oder mit dem Fuß an einer Wurzel hängen bleiben konnte. Seine Finger tasteten über die rau gewordene Mauer. Als er Stimmen hörte, erstarrte er und presste sich gegen den Stein.
»Und du bist sicher, dass sie kommen?«, fragte Ludowig.
»Ja, Herr.«
Schritt für Schritt schob Gerald sich vor, bis er zu den Resten eines Fensters kam. Er kauerte sich auf den feuchten Waldboden und spähte hinein.
Ludowig stocherte mit seinem Dolch in den Mauerritzen herum. »Die waren bestimmt wohlhabend.«
»Wer?«
»Na, die Heiden, die hier früher gewohnt haben, du Trottel.«
»Es ist schon fast Mittag.« Ludowigs Männer lehnten müßig an den Wänden oder warfen Steine gegen selbst gewählte Ziele.
Nur Ludowig ging unruhig auf und ab. »Das merke ich selber.«
»Der Herr ist schlecht gelaunt!«
Ludowig fuhr zu dem Mann herum und drückte ihm den Dolch gegen den Hals. »Ganz recht, ihr Taugenichtse. Vielleicht habt ihr es vergessen, aber Agnes ist tot.«
Hufschlag schreckte sie auf. Der Mann schob den Dolch beiseite und ging mit zwei großen Schritten zu dem gähnenden Loch, in dem einmal eine Tür gewesen war. Gerald hielt den Atem an und machte sich klein. Gleichzeitig drehte er den Kopf zu den beiden Reitern. Zwei Edelleute ritten in das Viereck der zerstörten römischen Villa und saßen ab. Der Ältere griff wortlos nach den Zügeln und wickelte sie um einen Ast.
»Endlich«, rief Ludowig gereizt.
»Endlich?«, zischte der Jüngere. »Was ist hier zu Ende? Es gab Tote, aber ein Ende sehe ich nicht. Was willst du von uns?«
Einen Augenblick lang starrten die beiden Männer sich beinahe hasserfüllt an. Sie hätten Brüder sein können, beide waren sie jung, beide vornehm gekleidet, beide wirkten wie Wölfe, die sich gegenseitig belauern. Mit einer raschen Drehung seines Handgelenks schleuderte Ludowig seinen Dolch, sodass er zwischen ihnen im Boden stecken blieb. »Die Angelegenheit gerät außer Kontrolle. Es sind zu viele Tote! Ich habe euch vertraut. Ich wollte kein Blutbad, aber jetzt muss ich für eure Toten geradestehen, während ihr euch heraushaltet. Ich bin nicht euer Sündenbock!«
Der andere legte den Kopf zurück und stieß ein hartes Lachen aus. »Unsere Toten? Du fantasierst! Aber ich hatte immer die Befürchtung, dass du letztlich ein Schwächling bist. Hör gut zu!« Er packte Ludowigs Arm und drehte ihn so heftig herum, dass der Junker aufkeuchte. »Wir halten uns nicht zurück, wir planen langfristig. Aber die Zeit läuft uns davon. Wendelgards Onkel wird der neue König werden. Bischof Salomo wird seine Treue zu Wendelgard nutzen, erneut in hohe Positionen zu gelangen. Und du bringst es nicht einmal fertig, in diesen vier Jahren Wendelgards Kinder zu adoptieren!« Er ließ Ludowig so plötzlich los, dass der Junker auf die Knie stürzte. Ehe er sich aufrichten konnte, hatte sein Gegner ihn in den Dreck gestoßen. »Und was ist mit Udalrich? Kehrt er
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