Die Herrin der Kathedrale
acht, versprochen!« Alwine, drückte die Freundin ebenfalls fest an sich und musste unwillkürlich an Uta denken. Seitdem diese ihr vor vielen Jahren das gleiche Versprechen gegeben hatte, als sie mit Äbtissin Adelheid nach Quedlinburg aufgebrochen war, hatten sie sich nicht mehr wiedergesehen.
Zärtlich schob Alwine Hazecha von sich und blickte sie wehmütig an. Ihr Gesichtsausdruck hat sich in den vergangenen Mondumläufen verdüstert, dachte sie, richtete fürsorglich Hazechas Schleier und lächelte. »Gib du auch acht auf dich.« Nach diesen Worten drehte sich Alwine um und machte sich im Schutzgeleit eines Kaufmannszuges in Richtung ihrer alten Heimat auf.
Gefolgt von Domenica betrat Hazecha aufgewühlt die Krankenkammer. Von nun an würde sie die Verantwortung für die Kranken tragen. Sie durfte das Leben der Menschen hier unter keinen Umständen aufs Spiel setzen. Sie war auf Gottes Wohlwollen und seine Führung angewiesen und deswegen musste sie auf den schriftlichen Kontakt mit Uta verzichten. Vorerst. Als Hazecha den ersten Verband des Tages wechselte, zählte sie den neunhundertfünfundvierzigsten Tag.
»Schwerste Verbrechen durch Beschädigung des Lebens eines Delinquenten zu sühnen ist königlich-kaiserliches Vorrecht.« Uta hielt den Blick auf das Pergament in ihren Händen gerichtet. Sie kannte inzwischen jeden spitzen Stein im Fußboden, jede Nische und auch jede Spanhalterung der Burg. Fasziniert vom Inhalt des Pergaments las sie im Gehen weiter.
»Niemandem sonst steht es zu, das von Gott geschenkte Leben zu richten, sofern der Kaiser ihn nicht dafür erwählt hat. Als Erstes wird Michael von Benzingen als Kläger für seine Schwester Ageltrude, Witwe des Herzogs Widemar, angehört. Die Anklage lautet auf Güterentfremdung. Als Beweismittel legen die Angeklagten eine Schenkungsurkunde für die strittigen Güter vor. Der Kaiser entscheidet, dass die strittigen Güter dem Urkundeninhaber zugesprochen werden.« Uta schaute nachdenklich auf. Eid, Gottesurteil, Befragung und Urkunde – so lauteten die vier vor dem königlichen Gericht zugelassenen Beweismittel. Die Angeklagten auf dem Paderborner Hoftag, über dessen Verlauf sie dank Kaplan Wipo gerade eine Abschrift in Händen hielt, hatten mit einer Urkunde ihre Unschuld bewiesen. »Katrina«, sagte sie grübelnd und drehte sich um, ohne den Schritt zu verlangsamen. »Ich muss die Urkunde der Mutter erneut studieren.«
Katrina nickte und öffnete ihrer Herrin die Tür zur Kemenate.
»Bitte sorge dafür, dass niemand mich stört«, bat Uta, trat ein und schloss die Tür. Sie beugte sich unter die Bettstatt, unter der sie neben dem Kästchen mit der Herrgottsgnade auch Hazechas Briefe verwahrte. Bei deren Anblick entfuhr ihr ein tiefer Seufzer. Obwohl Schwester Margit noch nicht nach Naumburg zurückgekehrt war, hatte ihr diese über ihren erfolgreichen Besuch in Gernrode berichtet. Doch die Nachricht lag nun schon vier Mondumläufe zurück, und Uta hatte immer noch keinen Brief aus Gernrode erhalten. Von einer geschäftigen Gernroder Krankenkammer hatte Schwester Margit geschrieben und ihr zudem Grüße von Alwine ausrichten lassen. Sicherlich war Hazecha momentan einfach zu sehr mit der Pflege der Patienten beschäftigt, um ihr zu schreiben. Und immerhin wusste sie nun, dass es der Schwester gutging.
Uta zog die Urkunde der Mutter unter dem Bett hervor. Wie oft sie diese auch schon gelesen hatte, war ihr doch bislang kein einziges, mögliches Beweismittel eingefallen. Dennoch sortierte sie die Fakten nun ein weiteres Mal: die Mutter übereignete dem Damenstift Gernrode ihr Witwengut, damit man sie, Uta, dort aufnahm. Damit waren fünf Ortschaften, zu denen zehn Hufen Ackerland und Jagdrechte gehörten, in den Gernroder Besitz übergegangen.
»Fünf Ortschaften?« Uta erinnerte sich an ihre Gespräche mit dem Vogt über den Abgabenstand der markgräflichen Besitzungen, die dieser sauber in Wachs stach. Fünf ertragreiche Dörfer konnten sogar einen Markgrafen ernähren. Sollte der Vater die Mutter gar umgebracht haben, weil er die Einkünfte und Abgaben aus den Besitzungen für sich hatte haben wollen? Denn das Witwengut fiel, sofern die Ehefrau vor ihrem Gatten starb, wieder an diesen zurück – so zumindest war es Uta bezüglich ihres eigenen Witwenguts vom Vogt erklärt worden. Oder hatte der Vater doch nur aus Wut gemordet, wie Erna ihr einst berichtet hatte? »Wie soll ich das nur jemals herausfinden?« Auch wenn sie, seitdem sie die
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