Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Innern der Burg. Mitten in der Nacht, das war ungewöhnlich. Kutschen benutzten nur die höchsten Amtsträger des Herzogtums oder Frauen, alle anderen mussten reiten.
An dem unverwechselbar watschelnden Gang erkannte sie eine der schattenhaften Gestalten. »Gratian!«, rief sie, eilte die Treppe an der Mauer hinunter und fiel ihrem Geliebten in die Arme. Sie küssten sich, einmal, dreimal, fünfmal. Dann zog Gratian sie aus der Mitte des Burghofes in einen Winkel bei den Stallungen. »Wie ich dich vermisst habe«, flüsterten beide gleichzeitig und kicherten wie zwei Jungverliebte. Sie tauschten allerlei Zärtlichkeiten aus, in Worten und Berührungen, dann fragte Damiane: »Was machst du hier, mitten in Nacht?«
Er zog ein Gesicht, als mahne er ein kleines Mädchen. »Wir hatten doch vereinbart, dass wir uns solche Dinge nicht mehr fragen. Ich habe meinen Herrn und du deine Herrin. Schließlich hast du mir auch nichts von den Machenschaften Marocias gesagt.«
»Aha«, sagte sie gedehnt. »Diese nächtliche Kutschfahrt ist also eine Machenschaft, ja?«
»Ich werde dir nichts darüber erzählen. Du wärst imstande und berichtest alles der Herzogin, dummes kleines Ding. Aber vergiss nie, mein Goldstück: Wenn der Bischof fällt, falle ich mit ihm. Und das willst du doch nicht, oder?«
Ihre Antwort war stumm. Sie umarmte Gratian mit beiden Armen und bemerkte dabei, dass ihre Hände sich nicht mehr auf seinem Rücken vereinen konnten, wie es früher noch der Fall gewesen war. »Du bist schwerer geworden«, kommentierte sie.
Er schmunzelte. »Als Diakon lebt man nicht schlecht. Aber warte, wenn ich erst Bischof bin . . .«
»Bischof?«, rief Damiane derart laut, dass die Pferde auf der anderen Seite der Bretterwand kurz aufschreckten und wieherten. Gratian wartete ab, ob jemand die Aufregung bemerkt hatte, und tatsächlich kam ein Soldat vorbei. Als er die beiden sah, grinste er, dann ermahnte er sie, leiser zu sein, und trottete weiter. Erst als seine Schritte nicht mehr zu hören waren und nur noch die gespenstisch flatternden Fledermäuse am Himmel von Leben kündeten, ergriff Gratian wieder das Wort.
»Wenn das, was Desiderius vorhat, tatsächlich klappt, wird er in eine größere und wichtigere Diözese befördert, und ich trete hier in seine Fußstapfen. Dann wird alles viel leichter für uns.«
»Das sagst du jedes Mal, aber immer wird alles komplizierter.«
Er küsste Damiane. »Diesmal nicht, Liebste. Vertrau mir noch dieses eine Mal, und du wirst sehen, dass ich dich nicht enttäuschen werde.« Er nahm ihren Kopf in beide Hände und bemerkte dabei, dass ihre Wangen feucht waren.
»Aber warum weinst du denn?«, fragte er sanft.
»Weil ich nicht mehr weiß, ob ich besser zu dir und dem wölfischen Bischof halten soll oder zu meiner Herrin Marocia. Soweit ist es schon gekommen.«
Die Gewänder von Desiderius und Gratian flatterten im Seewind, als sie auf einer Plattform der Burg von Atri standen. Die Feste erhob sich am höchsten Punkt einer Steilküste, deren Granitgestein die natürliche Verlängerung der Ostmauer bildete. Gratian beugte sich unbefangen über die Zinnen, aber Desiderius zuckte nach einem kurzen Blick auf die tief unten schäumende Brandung zurück und zog es danach vor, einige Meter vom Abgrund entfernt zu warten und den über der Adria aufgehenden Glutball der Sonne zu betrachten.
»Wo bleibt sie nur?«, fragte Gratian. »Wir haben uns doch schon vor einer ganzen Weile anmelden lassen.«
Sie waren beide nervös, aus unterschiedlichen Gründen. Gratian, der nicht die weltliche Abgeklärtheit seines Vorgesetzten besaß, sah in Constanza noch immer eine Hexe, noch dazu eine von Gottes schlimmster Seuche befallene Hexe, die rachsüchtig war. Desiderius hingegen machte sich mehr Gedanken über das Gelingen seines Planes.
»Mir ist bei der ganzen Sache nicht wohl«, fügte Gratian hinzu. »Sie ist so . . . verräterisch, so . . . hinterlistig – und so gefährlich. Vor allem gefährlich.«
Desiderius atmete tief durch. Das Letzte, worauf er Lust hatte, war, das Thema seit der Abfahrt von Spoleto nun zum dritten Mal durchzusprechen. »Es gibt keine Alternative. Sie wird uns schon nicht fressen.«
Gratian raffte seinen Umhang enger und blickte den Bischof skeptisch an. »Selbst wenn Ihr Recht habt: Wir hintergehen mit dem, was wir vorhaben, nicht nur den Herzog, sondern auch Berengar und den Papst, wir hintergehen überhaupt alle.«
»Unsinn«, zischte Desiderius in ungewohnter
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