Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Streithähne vergebens zur Räson, und sie warf Blanca einen ebenso entschuldigenden wie zermürbten Blick zu. »Ich weiß nicht, woher der Junge seine Aggressivität hat. Kennst du nicht einen Lehrer, der Alberic bändigen könnte?«
Blanca lachte. »Ich hätte nie gedacht, dass du einmal Erziehungsprobleme haben könntest.«
Marocia verzog über diese Spitze ein wenig den Mund.
»Ich kenne tatsächlich jemanden«, fügte Blanca heiter hinzu. »Wenn du den jedoch als Lehrer deines Sohnes gewinnen willst, musst du schon über einige Schatten springen, meine Liebe.« Sie lachte erneut, und Marocia sah sie mit großen, neugierigen Augen an.
Mit dumpfem, steinernem Schlag schloss sich der Sarkophag Louis’ III. in der Krypta der Kathedrale St. Saumur. Die in den Boden eingelassene Grabkammer war klein, und so reichte der Schein der beiden Fackeln in den Händen der Brüder aus, um sie zu erhellen. Die kahlen und glatten Wände reflektierten das Licht und ließen die steinernen Gesichter Hugos und Bosos flackern. Die beiden Söhne des Toten blieben, nachdem der Erzbischof von Aix und die Träger gegangen waren, allein in dem schmucklosen Gewölbe zurück.
»Seine letzten Worte, Hugo, galten der Hoffnung, dass seine Söhne stets einträchtig zusammenstehen«, hauchte Boso und legte seine Hand auf den Marmorsarg.
Hugo zog die Mundwinkel nach unten. Seit er zurückdenken konnte, hatte sein Bruder diese weihevolle Stimme, von der ihm übel wurde. Obwohl Boso die Seele eines winselnden Höflings besaß, warf ihm das Schicksal nun die Königskrone Niederburgunds zu. Doch Hugo war immer schon der bessere Fänger gewesen.
»Der liebe Louis gehörte zu jener Sorte Väter«, konstatierte Hugo trocken, »die immer behaupten, das Beste für ihre Kinder zu wollen, und die eifersüchtig werden, wenn diese wirklich das Beste bekommen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Für dich erkläre ich es einfacher. Die Leiche, die vor uns liegt, hat es ganz bewusst versäumt, Fakten zu schaffen. Hilf mir auf die Sprünge, wenn ich mich irre, aber Louis hat dich zu seinen Lebzeiten nicht zum Mitkönig für Niederburgund gemacht, oder? Und nun erwartest du, dass ich deinen so genannten Anspruch anerkennen soll, weil ein seniler, fiebriger Mann angeblich seinen Segen über uns ausgekippt hat wie Kuhmist?«
Boso ähnelte seinem älteren Bruder äußerlich, aber er besaß nicht dessen Fähigkeit, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Schlagartig schoss ihm das Blut in den Kopf, und die Adern schwollen an. »Es gibt ein Testament!«, gellte er. »Ich nehme die Krone, und du wirst mir als Graf von Vienne und Provence den Lehnseid leisten.«
»Eher friert die Hölle zu, bevor das geschieht«, entgegnete Hugo knapp.
»Ich werde dich dazu zwingen.«
»Ach, und wie willst du das anstellen? Ich verfüge über meine Truppen aus Italien und aus Vienne. Und worüber verfügst du, geliebter Bruder?«
»Ich bin im Recht.«
Hugo lachte dermaßen laut, dass es, von den engen Wänden zurückhallend, fast in den Ohren wehtat. »Das Recht ist wer? Der alte Erzbischof von Aix, der eben kaum die zehn Stufen aus der Grabkammer steigen konnte? Oder dein wetterwendischer Adel? Willst du die gegen meine Soldaten schicken?«
»Ich werde verhindern, dass du italienische Soldaten ins Land holst.«
»Verhindern? Es ist bereits geschehen. Sie erholen sich gerade in Nizza von der Alpenüberquerung und pissen in dein niederburgundisches Meer.«
Das Blut pulsierte immer heftiger in Bosos Schläfen, und er spuckte fast vor Zorn, als er rief: »Ich bringe dich um, Hugo! Eines Tages bringe ich dich um.«
Er holte mit der Fackel aus und versuchte damit Hugo zu treffen, doch der bückte sich blitzschnell und wich dem Schlag aus. Dann schnellte er seinerseits nach vorne und brannte die pechgetränkte Fackel dem Bruder in die linke Wange. Boso schrie auf. Er betastete die verletzte Stelle. Seine Augen waren mit Tränen von Zorn und Schmerz gefüllt und starrten Hugo an.
»Wir sind beide verflucht«, sagte Hugo ungerührt. »Der Unterschied ist nur, dass man es dir nun ansieht.«
»Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld wieder!«, rief Boso und rannte hinaus.
Hugo ließ seine Fackel sinken. Er blieb noch einen Moment in der Krypta und betrachtete den Steinsarkophag, in den das Familienwappen hundertfach kunstvoll eingehämmert war. Seine Kiefer mahlten. Ein paar Male sah es so aus, als wolle er mit seinem Vater sprechen, aber Hugos Lippen zitterten nur,
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