Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
ohne dass ein Ton über sie kam. Dann ging auch er, und es wurde für immer finster in der Gruft Louis’ des Blinden.
Wie ihre Halbschwester vorausgesagt hatte, musste Marocia tatsächlich über mehrere Schatten springen, um den geeigneten Lehrer für Alberic zu gewinnen. Zum einen war der Kandidat – wie konnte es anders sein – Geistlicher, und dieses Menschenschlages war Marocia im Laufe der Jahre überdrüssig geworden. Gestalten wie Johannes, Saxo, Desiderius und Gratian ließen sie schaudern. Doch das Überzeugende an Odo von Cluny war, dass er einer neuen klerikalen Richtung angehörte, die die schlimmsten Auswüchse der Kirche für sich ablehnte –übermäßiger Luxus und die zunehmende Entfernung von der christlichen Botschaft. Er führte seine erst zwölf Jahre alte burgundische Benediktinerabtei nach strengen Maßstäben. Die Cluniazenser – wie Odo sie gerne nannte – lebten außerordentlich asketisch, stellten ihre Kraft in den Dienst der Hilfsbedürftigen und hatten strenge Vorschriften, was die Aufnahme in ihr Kloster anging. Ein solcher Abt, fand Marocia, konnte Alberic zumindest zeitweise gut tun.
Der zweite Schatten, über den Marocia springen musste, war ganz anderer Art. Odos Ideen fanden regen Zulauf beim burgundischen Volk, und so musste er einerseits Cluny um eine Kirche erweitern und außerdem neue Klöster gründen und andererseits weitere Privilegien beim Papst erbitten. Zu diesem Zweck hielt er sich derzeit in Rom auf, genauer im Lateran, und genau das war das Problem.
Marocia hatte den Papstpalast seit ihrem Einzug in Rom nicht mehr betreten. Sie wollte auf keinen Fall wie ihre Mutter zu Werke gehen, die im Lateran ein und aus stolziert war, als gehöre ihr das Gebäude. Theodora hatte stets aufdringlich, ja geradezu penetrant ihren Einfluss zur Schau gestellt, doch genau das widerstrebte Marocia. Natürlich behielt auch sie die Fäden in der Hand, aber sie zog nur sacht daran und auch dann nur aus dem Hintergrund. So lud sie sich gerne Ablabius, den
primus magistratus
, sowie einige weitere Magistratsmitglieder in die Villa Fortuna ein und ließ hier und da eine Bemerkung fallen, von der sie zu Recht annahm, dass sie von den katzbuckelnden Beamten verstanden und weitergetragen wurde. Marocia mochte diese Liebediener nicht, und ihre Dummheit und Faulheit ließ sie bisweilen den Kopf schütteln, aber für die Benutzung diskreter Einflussnahme waren sie außerordentlich geeignet.
Sehr ungern betrat sie daher den Lateran. Da Odo von Cluny jedoch auf zwei Einladungen von ihr nicht reagiert hatte, blieb ihr nichts anderes übrig. Wenn schon, dann richtig, sagte sie sich und wählte für ihren Besuch den prekären Zeitpunkt, als Odo wieder einmal eine Audienz beim Papst absolvierte, seine vierte. Johannes hatte bisher die Erteilung besonderer Privilegien für Cluny abgelehnt, und Odo versuchte in langen, schwierigen Verhandlungen, den Pontifex umzustimmen.
Nachdem sie Johannes und seinen Schatten Desiderius gebührend begrüßt hatte, bat sie Odo von Cluny in eine abseitige Ecke des Thronsaals und trug ihre Bitte vor. Odo musterte sie unentwegt. Er hatte einen selbstsicheren Blick, der in krassem Gegensatz zu seinem ärmlichen Äußeren stand. Sein Gesicht wirkte ausgezehrt, dennoch war die Fülle früherer Zeiten, als Odo noch keine Askese praktizierte, noch zu erkennen. Eine rätselhafte Kraft strahlte von ihm aus, ein unbändiger Wille. So etwa hatte Marocia sich als Kind die frühen Christen und Märtyrer vorgestellt, und so etwa mussten auch die Missionare aussehen, die derzeit in Böhmen und Ungarn Heiden bekehrten.
»Die Aufgabe, von der Ihr sprecht«, urteilte er, »ist jenseits der Aufgabe, die Gott mir zugewiesen hat.«
Odo gab nicht den wahren Grund seiner Ablehnung preis. Der Ruf seiner Gesprächspartnerin als Herrin und Hure der Päpste war bis nach Burgund gedrungen. Außerdem bewahrte sie heidnische Bauwerke vor dem gottgegebenen Verfall. Einer solchen Frau sollte er einen Dienst erweisen? Aber er musste zugeben, von pilgernden Mönchen auch anderes über sie gehört zu haben, von Bettenhäusern und Armenspeisungen.
»Aber Vater«, wandte Marocia ein. »Ist es nicht ein altes Ideal, dass Philosophen auf den Thronen sitzen sollen? Hat nicht schon Aristoteles so geschrieben? Und später der Heilige Augustinus?«
Odo lupfte erstaunt die Augenbrauen in die Stirn. Vermutlich überraschte ihn die Bildung seiner Gesprächspartnerin. »Nun . . . gewiss. Doch was hat das
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