Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
aus dem Fenster. Sie fuhren auf einer von faustgroßen Steinen übersäten Straße. Links von ihnen erhob sich eine mächtige, fast glatte Felswand, deren rötlich braunes Gestein im Sonnenlicht schimmerte. Rechts blickte Marocia in einen Abgrund, der nur wenige Ellenlängen von der Kutsche entfernt hundert Meter oder mehr abfiel. Der Kutscher hatte die Geschwindigkeit der vier Pferde bereits stark gedrosselt, aber jeder Stein, über den die harten hölzernen Räder rollten, löste weitere Erschütterungen aus. Als dann noch eine entgegenkommende Schafherde den Weg versperrte, hielt der Kutscher an und empfahl, eine kurze Rast einzulegen. Dankbar stieg Marocia aus dem Wagen.
Umringt von Schafen und aufwirbelndem Staub spazierte sie ein Stück davon. Sie nahm ein paar Kiesel auf und warf einen nach dem anderen in den kraterförmigen Talkessel hinab. Die trichterförmig aufeinander zulaufenden Wände waren voller großer und kleiner Gesteinsbrocken, aber ganz unten, in seiner Mitte, trotzte ein kleiner Pinienwald den widrigen Verhältnissen. Marocia konnte nur rund ein Dutzend Bäume erkennen, aber dieses wenige Grün schaffte es, dem öden Tal etwas Hoffnungsvolles zu schenken.
Von hinten näherte sich die Stimme des Bischofs. »Ich verstehe, dass die Eheschließung Euch zu diesem Zeitpunkt nicht recht sein kann. Dieses plötzliche Ende, die Trauer um den Heiligen Vater, das alles muss schwer zu verkraften sein. Aber Ihr dürft den letzten Willen des Mannes, der Euch so sehr liebte, nicht missachten.«
Täuschte sie sich, oder legte der sonst knochentrockene Geistliche tatsächlich Gefühl in seine Worte? Aus seinem Munde klangen diese weihevollen Appelle jedoch irgendwie lächerlich.
»Immerhin«, fuhr Desiderius fort, »hättet Ihr es schlimmer treffen können. Alberic ist Herzog eines starken Landes, gottesfürchtig und dazu von mildem Gemüt.«
Marocia zog die Augenbrauen in die Höhe und sah Desiderius an. »Sieht so Eure Beschreibung für einen mehrfachen Kindesmörder aus, ehrwürdiger Bischof?«
Desiderius blickte überrascht auf, dann hüstelte er. »Ich sehe, Ihr habt Euch kundig gemacht.«
»Entgegen landläufiger Meinung ist
das
meine Lieblingsbeschäftigung und nicht der Aufenthalt im Liebesbett. So weiß ich mittlerweile, dass Alberic heute nicht Herzog wäre, wenn er nicht vorher alle seine Neffen beseitigt hätte. Die meisten von ihnen waren so jung, dass ihnen noch nicht einmal Barthaare sprossen. Ich heirate einen feigen Mörder, ehrwürdiger Bischof, und ich bin wahrlich nicht stolz darauf. Aber die Alternative ist so inakzeptabel, dass ich . . .« Sie stockte. Ein kalter Schauer am Rücken ließ sie erzittern. Die Vorstellung, wieder in die Villa Sirene zu gehen, sich ihrer Mutter zu fügen, Johannes’ Gesicht ertragen zu müssen, war beängstigend. Alberic mochte ein Kindesmörder sein, aber er war wenigstens nicht der Mörder
ihres
Kindes.
»Es ist richtig, dass die Neffen des Herzogs alle binnen weniger Wochen starben oder verschwanden. Man verdächtigt allerdings nicht ihn, sondern seine Mutter, Constanza von Atri. Sie war immer schon eitel und voll Eifersucht gegen ihre älteren Schwestern, deren Söhne in der Thronfolge der Herzöge vor dem ihren rangierten. Nun, sie hat ihr Ziel erreicht, aber der Herzog hat es ihr nicht gedankt. Er spricht seither kein Wort mehr mit ihr.«
Eine Böe trieb Staubwolken über den Bergweg und wehte sie dem Bischof und Marocia ins Gesicht. Sie blinzelten und hielten sich Tücher vor den Mund. Erst als der Wind sich wieder gelegt hatte, sprach Desiderius weiter.
»Um das Folgende zu verstehen, Durchlaucht, müsst Ihr wissen, dass ich vorhin nicht übertrieben habe, als ich Alberic einen gottesfürchtigen Menschen nannte. Genau das wurde ihm jedoch bald nach der Tat seiner Mutter zum Verhängnis, denn sowohl seine Gemahlin wie auch sein einziges Kind, ein Sohn, verunglückten bei einem Unfall. Eine zweite Gemahlin starb vor wenigen Jahren zusammen mit dem Säugling im Kindbett. Für ihn sind das Strafen des Herrn.«
Marocia sah, wie Desiderius’ Mundwinkel sich zu einem flüchtigen ironischen Lächeln verbogen. In Rom, der Wiege der christlichen Zivilisation und des Wissens, war es unter Geistlichen schon vor langer Zeit unüblich geworden, in jedem Geschehnis, ob gut oder schlecht, eine direkte Einwirkung von Gottes Hand zu sehen. Insgeheim sah man deswegen auch auf den Klerus von jenseits der Alpen herab, der sich allzu übereifrig in diesem simplen
Weitere Kostenlose Bücher