Die Herrin der Pyramiden
Seneferu geheiratet hatte. Hotephores kannte kein eigenes Leben, wusste nicht, was es hieß, eigene Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen, hatte Alleinsein und Einsamkeit nie erlebt. Daher war es nicht überraschend, dass wir uns nicht über sie selbst, sondern über Seneferu unterhielten. Wegen meiner bevorstehenden Hochzeit mit Rahotep kamen wir auf ihre eigene Hochzeit mit ihrem Bruder zu sprechen.
»Wann war Euch klar, Euer Majestät, dass Ihr den Lebendigen Gott heiraten würdet?«, fragte ich und trank einen Schluck des mir von einem Diener gereichten Weins.
»Das war eine Entscheidung meines Vaters Huni. Er hat mich nicht gefragt. Seneferus Ernennung zum Thronfolger kam ohnehin sehr überraschend und erst wenige Wochen vor meines Vaters Tod. Amenemhet hatte fest mit seiner Ernennung gerechnet und bereits alle Vorkehrungen für unsere Hochzeit getroffen. Er war wütend und enttäuscht, als mein Vater sich kurzfristig anders entschied.«
»Dann hatte Huni Amenemhet bereits zum Thronfolger ernannt?«
Die Königin lehnte sich in ihrem geschnitzten Sessel zurück und griff nach dem Becher, der ihr auf einem Tablett gereicht wurde. Sie schüttelte den Kopf, bevor sie trank. »Mein Bruder hatte sich selbst dazu ernannt. Mein Vater hatte das nie durch die offizielle Zeremonie im Tempel des Ptah gerechtfertigt.«
»Ich kann es mir nicht vorstellen, mit meinem eigenen Bruder verheiratet zu sein!« Ich konnte es mir nicht einmal vorstellen, wie es wäre, einen Bruder zu haben.
»Du hast keine Geschwister, Nefrit?«, fragte die Königin, die sich offensichtlich nicht vorstellen konnte, nicht mit ihrem Bruder verheiratet zu sein. Hatte sie in ihrem Leben je einen anderen Mann geliebt?
»Nein, Euer Majestät. Ich bin die einzige Tochter meines Vaters. Meine Mutter Cheti starb bei meiner Geburt.«
»Seneferu ist zwar mein Bruder, aber ich hatte Seneferu, Amenemhet und Nefermaat ohnehin nur selten gesehen, denn mein Vater hatte alle drei sehr früh einer strengen Erziehung unterziehen lassen. Amenemhet wurde Schreiber und besuchte die Offiziersschule des Amun-Regiments von Pihuni und war bereits mit sechzehn Jahren Oberkommandierender des Heeres. Nefermaat studierte nach seiner Schreiberausbildung im Osiris-Tempel von Abodu die Maatgesetze. Seneferu wurde nach der Ausbildung zum Schreiber zum Priester des Ptah geweiht.«
»Die Brüder wuchsen nicht zusammen auf?«
»Jeder war, seit er sechs Jahre alt war, auf sich allein gestellt.«
»Huni ließ seine Söhne also in den drei klassischen Studien ausbilden: ein Rechtsgelehrter, ein General und ein Priester.«
»So bereitete mein Vater jeden der von ihm erwählten Söhne auf seine Weise und seinen Neigungen entsprechend auf die schwere Bürde vor, irgendwann die Regentschaft antreten zu müssen. Jeder seiner Söhne wäre in der Lage gewesen, den Vater zu ersetzen, falls er unverhofft sterben sollte. Auch die Brüder untereinander wären in der Lage gewesen, sich gegenseitig zu ersetzen.«
»Kann Seine Majestät seinen Brüdern vertrauen?«
»In Nefermaat hat er absolutes Vertrauen. Er hat ihm oft genug während seiner Feldzüge und seiner Horusfahrten die Regentschaft anvertraut. Amenemhet hingegen hat er sofort nach seiner Krönung die Privilegien des Oberkommandierenden des Heeres entzogen. Amenemhet war jahrelang sein stärkster Konkurrent als Thronfolger gewesen, und seine Reaktion auf Seneferus Ernennung hatte ihn an Amenemhets Loyalität zweifeln lassen. Nominell ist Amenemhet zwar noch Oberkommandierender, im Prinzip erfüllt aber bereits Khufu diese Aufgabe. Amenemhet hat das seinem Bruder nie verziehen.«
»Daraufhin hat Amenemhet Iset geheiratet?«
»Meine Schwester kommt in der Thronfolge nach mir und war für Amenemhet und sein Statusbewusstsein ein wichtiges Symbol. Er hätte sie nicht zu heiraten brauchen, nachdem ihm eine Ehe mit mir verwehrt worden war.«
»Ich will kein Symbol sein. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut!«
»Sollte Seneferu Rahotep als Thronfolger ernennen, wird dein Leben nichts anderes mehr sein als nur Symbol, Nefrit. Der König ist der Garant für den Fortbestand und das Wohlergehen der Beiden Länder. Dafür lebt er, dafür arbeitet er. Er hat kein Recht, ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein. Er hat keine Vorlieben, keine Bedürfnisse. Nichts darf ihn von seinen zahlreichen Pflichten als König Beider Länder, als Hohepriester, als Feldherr ablenken.«
»Was könnte ihn denn ablenken?«
»Das
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