Die Herrin der Pyramiden
das Hochzeitskleid überziehen zu lassen. Ich stand bewegungslos wie eine Götterstatue, während mir der Schmuck angelegt wurde.
»Wie Hathor selbst!«, rief Satamun aus, als ich fertig war.
»Rede nicht solch einen Unsinn, Satamun!«, wies ich sie zurecht. »Ich fühle mich wie ein ausgestopfter Sack Hirse.«
»Du solltest dich sehen!« Satamun hielt mir den Bronzespiegel vor.
Beinahe hätte ich mich nicht erkannt. Das weiße Hochzeitskleid brachte meine schlanke Figur gut zur Geltung. Alles, was das Volk zu sehen begehrte, lag offen vor ihm, nichts wurde verhüllt, nichts verborgen. Das schwere Haar der Perücke hing mir bis auf die Schultern herab und schimmerte bläulich im Morgenlicht. Das Diadem und der Halskragen mit Meresankhs Horus-Anhänger gaben mir den Anschein, ich sei wirklich eine Prinzessin.
Weil ich in dem Kleid kaum laufen konnte, führte mich mein Zeremonienmeister Reni an beiden Händen bis vor die Tür, damit ich dort die Sänfte bestieg, die mich zum Tempel bringen sollte.
Rahoteps Sänfte traf gleichzeitig mit meiner im Hof des Palastes ein, wo sich die Prozession zum Tempel formierte. Er hatte mit seinem Gewand die gleichen Schwierigkeiten wie ich: Auch seine Beine wurden durch den engen Stoff zusammengehalten, sodass er kaum laufen konnte. Ich grinste, als ich mir überlegte, wie die Hochzeitsnacht verlaufen würde, wenn uns niemand aus unserer Kleidung herausschnitt.
»Warum lachst du?«, fragte er mich irritiert.
»Ich lache nicht. Ich sehe ernsthaft meiner Aufgabe in dieser Zeremonie entgegen.«
»Du hast eben gelacht!«
»Willst du mir das Lachen verbieten?«
Sein Blick verfinsterte sich.
»Macht ihr euch das Leben jetzt schon zur Hölle?«, fragte Khufu, der neben meiner Sänfte aufgetaucht war. »Ihr solltet nichts überstürzen. Dafür habt ihr noch Jahre Zeit!«
In diesem Augenblick erschienen der Lebendige Gott und die Große Gemahlin. Während die Familie sich verbeugte und sich die Würdenträger zu Boden warfen, bestieg das Herrscherpaar seine Sänften, die vor denen des Brautpaares hergetragen werden sollten. Als die Prinzen und Prinzessinnen und die hohen Würdenträger des Hofes ihre Sänften bestiegen hatten, stellten sich hundert Gottesdiener des Ptah als Repräsentanten der Weisheit und hundert Priesterinnen der Hathor als Repräsentantinnen der Liebe vor uns auf.
Thotmes, der Zeremonienmeister des Königs, gab ein Zeichen und die Tore des Palastes öffneten sich. Die endlose Prozession von Priestern, Würdenträgern und Kriegern des Ptah- und des Seth-Regiments bewegte sich langsam zum Tempel des Atum.
Ich konzentrierte mich derartig auf meine Aufgabe in den Zeremonien, die ich wohl hundertmal mit Nefermaat und Thotmes durchgesprochen hatte, dass ich nichts wahrnahm von den Gerüchen der Speisen auf dem Markt von Mempi, von dem Lärm der Tausende von Menschen, von den Blicken der Männer und Frauen, die mich anstarrten.
Als wir durch das Tempeltor getragen wurden, begrüßte der Hohepriester Aperiatum erst den König und seine Gemahlin, dann Rahotep und mich.
Seneferu und Hotephores saßen auf zwei erhöht stehenden Thronen zwischen Rahotep und mir im Großen Sonnenhof, Seneferu zu meiner Rechten, Hotephores zur Linken Rahoteps. Die Familie des Herrschers nahm auf einer Tribüne hinter uns Platz. Immer wieder blickte ich mich um, aber ich konnte Kamose unter den Würdenträgern nicht entdecken. War er zu meiner Hochzeit nicht erschienen? Hatte er es abgelehnt, nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich nicht seine Tochter war?
Die Zeremonien begannen mit einem gemeinsamen Gebet zum Schöpfergott Atum und einem Sonnengesang für den Sonnengott Re. Noch bevor Rahotep und ich durch die Worte des Hohepriesters Aperiatum miteinander verbunden wurden, erhob sich Seneferu neben mir und ergriff meine Hand. Gemeinsam ging ich mit ihm, wie Rahotep mit der Königin, um ein Weihrauchopfer auf dem Altar für Atum darzubringen. Nicht nur ein Mal berührte er wie zufällig meine Hand, meinen Arm, meine Schulter. Doch es war nicht nur sein Körper, der mich berührte.
Warum sah er mich so traurig an?
Nach den dreistündigen Zeremonien und dem rituellen Stieropfer fand im Thronsaal ein Empfang statt. Rahotep und ich empfingen unsere Gäste auf kleineren Thronen neben dem Herrscherpaar. Seneferu saß unbeweglich wie eine Götterfigur auf seinem Sitz und ließ die Menschen an sich vorüberziehen. Auch die Königin verzog keine Miene. Es würde lange dauern, bis ich
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