Die Herrin der Pyramiden
er liebt. Nichts ist ihm gut genug, denn alles dient der Repräsentanz der königlichen Macht. Die Pflichterfüllung für sein Land ist ihm zur unstillbaren Lust geworden.«
»Ideale Voraussetzungen für einen König«, warf ich ein.
»Seneferu ist da nicht so sicher.«
Nach den Prüfungen der Prinzen Rahotep, Khufu und Aserkaf, die im Ptah-Tempel stattfanden, begab sich der König mit seinen Söhnen in das Allerheiligste. Niemand wusste, was Seneferu mit seinen Söhnen zu besprechen hatte. Dann kehrten sie in die Große Halle des Tempels zurück.
Auf dem Platz vor dem Tempel hatte sich eine Volksmenge gebildet, die der Entscheidung des Königs über seinen Nachfolger beiwohnen wollte. Die Gesichter der Prinzen waren undurchdringlich, als sie zum Erscheinungsfenster des Tempels hinaufstiegen. Ich stand neben Rahotep und konnte sein Gesicht beobachten, als der Lebendige Gott dem Volk seine Entscheidung mitteilte.
Seneferu bestätigte mit lauter Stimme Khufu in seiner Funktion als Oberkommandierender der Regimenter des Reiches und Beschützer seiner Grenzen. Außerdem übertrug er ihm die Leitung der Militärakademie von Pihuni und verlieh ihm den Titel Siegelverwalter des Königs.
Der König bestätigte Rahotep in seinem Amt als Stellvertreter des Wesirs und ernannte ihn zum Hohepriester des Re von Iunu, das höchste geistliche Amt im Reich neben dem des Hohepriesters des Atum. Außerdem blieb er zuständig für die Materiallieferungen sämtlicher Bauprojekte seines Vaters.
Dann ernannte Seneferu Aserkaf zum Thronfolger und künftigen König des Oberen und Unteren Landes. Schon nach den ersten Worten brach ein unbeschreiblicher Jubel unter den Menschen auf dem Platz aus. Seneferu forderte Rahotep und Khufu auf, ihrem Bruder Aserkaf zu dienen, wie sie ihrem Vater dienen würden, aber nur wenige verstanden seine Worte im Geschrei.
Ich war Rahotep in seine Wohnung gefolgt und hatte Ti die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ein sich selbst bemitleidender Ehemann reichte mir, einen niedergeschlagenen Liebhaber konnte ich nicht auch noch ertragen.
»Worüber bist du eigentlich so wütend?«, fragte ich ihn ungeduldig.
»Ich bin sein ältester Sohn!« Rahotep ließ sich auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, als käme er erst jetzt zur Besinnung.
»Du bist also wütend auf deinen Vater? Er hat dich und deine Brüder seit Jahren beobachtet und seine Entscheidung schon vor Monden getroffen.«
Ich schenkte einen Becher mit Dattelwein ein, den ich Rahotep reichte.
»Warum hat mein Vater mich zum Hohepriester des Re ernannt? Er will mich aus dem Palast fern halten!«
»Fern halten? Aber du bist doch …«
»Der Hohepriester residiert im Sonnentempel von Iunu.«
»Das heißt …«
»… dass ich in den nächsten Wochen dorthin umziehen muss.«
»Was will dein Vater damit erreichen?«
»Ich habe die Priesterschaft des Re auf meiner Seite. Die Priester hätten mich gern als Herrscher gesehen. Atum wird den Sonnenpriestern zu mächtig. Durch die Ernennung zum Hohepriester versichert sich mein Vater meiner Loyalität. Und durch die Entfernung zum Palast entzieht er mir direkten Einfluss auf politische Entscheidungen.«
Den wirklichen Grund Seneferus, meinen Gemahl aus seinem direkten Umfeld zu entfernen, sollte ich viel später erfahren.
Als Ti die Geduld verloren und Rahoteps Wohnung betreten hatte, überließ ich die beiden sich selbst. Ich war erlöst, denn ich würde nicht Königin von Kemet werden. Und ich war erleichtert, denn die unerträgliche Situation mit Rahotep und Ti musste sich wegen der Entfernung zwischen dem Amtssitz des Hohepriesters des Sonnengottes und der Kommandantur des Generals des Palastregiments im Sande verlaufen.
Als ich in meine Wohnung zurückkehrte, erwartete mich eine strahlende Merit in meinem Garten. »Ich bin so froh! Du glaubst nicht, wie erleichtert ich bin, dass ich nicht Khufu heiraten muss!«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Wie klingt das: König Aserkaf und seine Große Gemahlin Merit?«
Ich lachte und umarmte sie. Sie hielt sich an mir fest. »Ich habe Angst, Nefrit!«, flüsterte sie.
Ich setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. »Wovor denn?«
»Vor der Aufgabe.«
»So ein Unsinn, Merit! Du bist dein ganzes Leben auf diese Aufgabe vorbereitet worden. Werde Königin! Werde glücklich!«
»Das eine scheint das andere auszuschließen! Meine Mutter Hotephores ist mit meinem Vater nicht glücklich,
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