Die Herrin der Pyramiden
obwohl sie ihm als Königin drei Kinder geschenkt hat.«
»Du verwechselst das Glück in der Erfüllung einer Aufgabe und das Glück aus Liebe, Verliebtheit oder Sinnlichkeit.«
Merit schüttelte den Kopf. »Mein Vater teilt seit über zwölf Jahren nicht mehr das Bett mit meiner Mutter. Trotzdem wagt sie es nicht, sich einen Geliebten zu nehmen, weil sie seinen Zorn fürchtet. In einer langen Sommernacht hat sie mir anvertraut, dass sie sich mit zweiunddreißig Jahren wie eine vertrocknete Blüte fühlt. Nur die Erinnerung an ihre Schönheit ist vorhanden, die äußere Form ist durch Vernachlässigung verblüht und welk.«
»Und du fürchtest, Aserkaf könnte sich dir gegenüber genauso verhalten?«
»Aserkaf hat eine Geliebte, die er zu seiner Nebenfrau nehmen wird, wenn er erst mit mir verheiratet ist.«
»Die meisten Männer haben eine Nebenfrau, Merit.«
»Ich weiß. Aber ich habe erst vor kurzem einen Mann kennen gelernt, der mir ungeheure Lust schenkt. Ich werde ihn in die Wüste schicken müssen, sobald ich verheiratet bin.«
»Du hast einen Geliebten?«, fragte ich überrascht.
»Er ist ein sehr schöner Mann mit nur einem Makel, aber den muss ich nicht sehen, wenn ich es nicht will. Es ist immer schon dunkel …«
»Einen Makel?«, fragte ich.
»Er hat im Krieg ein Bein verloren.«
»Er heißt nicht zufällig Sekhem und arbeitet als mein Sekretär?«
Merits und Aserkafs Hochzeitsbankett fand im Garten des Palastes statt. Während des fünften Ganges hatte ich das Bedürfnis, allein zu sein. Ich stand auf und ging zwischen den blühenden Sträuchern und duftenden Bäumen des Gartens hindurch zu einem Lotusteich. In der Dunkelheit zirpten die Grillen.
Ich war einsam. Ich hatte alle Menschen verloren, die mir nahe gestanden hatten: meinen Vater Kamose, der nicht mein Vater war. Djedef, der wie ein Löwe in seinem Käfig die Grenzen des Reiches abschritt. Rahotep, der nie wirklich mein Gemahl war. Sekhem, den ich wiedergefunden und an Merit verloren hatte, und …
In diesem Augenblick sah ich Sarenput. Als er mich in der Dunkelheit des Gartens erkannte, wollte er sich umdrehen und gehen.
»Bitte lauf nicht weg, Sarenput!«
»Ich wollte dich nicht stören. Im Übrigen laufe ich nicht weg.«
In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. »Es war nicht so, wie du denkst, Sarenput.«
»Woher glaubst du zu wissen, was ich denke?«
»Ich hatte mit deiner Ernennung zum Fürsten von Weset nichts zu tun. Ich habe wenige Stunden vor unserem letzten Treffen in meinem Zelt davon erfahren.«
Er lachte verächtlich. »Dann verdanke ich dir nicht einmal meinen Rang, Nefrit? Du hast mich fallen lassen wie eine Schüssel heißen Hirsebrei, ohne über die Scherben nachzudenken.«
»Ich habe dich geliebt, Sarenput.«
»Du kannst niemanden lieben außer dir selbst, Nefrit!«
»So siehst du mich?«, fragte ich entsetzt.
»Du hast immer nur an dich selbst gedacht. Hast du dir Gedanken gemacht, wie dein Verhalten auf die Menschen wirkt, die dich lieben?«
Er wollte sich umdrehen und gehen, doch ich hielt ihn zurück. »Bin ich eine Frau, die ein Mann lieben kann?«
Er zögerte. Im Mondlicht konnte ich jetzt sein Gesicht sehen.
»Diese Frage hast du mir vor fast zwei Jahren schon einmal gestellt. Deine Fragen sind nicht einfach zu verstehen, Nefrit.«
»Bin ich eine Frau, die du lieben könntest?«
In dieser Nacht lehrte ich Sarenput, nur an sich selbst zu denken. Wir hielten uns aneinander fest wie zwei Ertrinkende. Am nächsten Morgen reiste Sarenput in seine Hauptstadt Weset ab.
Wenige Tage nach Sarenputs Abreise begann die Horusfahrt in den Süden des Landes Kemet. Ich segelte mit Rahotep, Khufu und Henutsen auf der
Udjat
, während Seneferu und Hotephores auf der Sonnenbarke
Re
und Aserkaf und Merit auf der
Ankh
reisten. Rahotep und ich hatten wieder getrennte Kabinen.
Die Barken legten mittags im Hafen von Mempi ab und segelten gemächlich mit dem Nordwind den Fluss hinauf. Der erste Hafen, den die Flotte anlief, war Pihuni. Der Aufenthalt dauerte nur zwei Tage. Der König und seine Söhne besuchten die Alte Residenz von Pihuni, setzten die Steuer fest und hielten Gericht. Aserkaf musste als Thronfolger besonders viele Audienzen gewähren.
Während des ersten Tages kletterte ich auf der Außenfassade der Pyramide von Pihuni herum, um nach ähnlichen Schäden wie in Mempi zu suchen. Obwohl die Pyramide von Pihuni genauso steil gebaut worden war, wies sie keine Risse in
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