Die Herrin der Pyramiden
viele Rückschläge, zu viele Verluste. Aserkaf, Nefermaat, Sarenput. Der Krieg in Amurru. Zwei Anschläge auf mein Leben aus meiner eigenen Familie. Und zwei Söhne, Khufu und Rahotep, die kein Wort mehr mit mir sprechen. König Sargon, der mich zwingt, seine Tochter zu heiraten, um sein eigenes Blut nach Kemet zu bringen. Die verdammte Pyramide, die mich jeden Tag daran erinnert, dass ich sterblich bin wie alle anderen Menschen.«
»Ihr seid nicht wie andere Menschen, Majestät! Ihr seid Seneferu Nebmaat. Alle schauen zu Euch auf.«
»Und ich schaue zu ihnen hinunter und möchte sein wie sie.«
»Was haben sie, was Ihr nicht habt?«
»Ihre Freiheit, Nefrit. Sie sind frei, und ich bin gefangen. Ich will selbst über mein Leben entscheiden, wann ich morgens aufstehe und wann ich abends schlafen gehe. Und mit wem, unabhängig von dynastischen Fragen und dem allgegenwärtigen Zeremoniell.«
»Warum tut Ihr es nicht einfach?«
»Bisher war es unmöglich.«
»Ist es das nicht mehr?«
Er sah mich ernst an. »Diese Einschätzung hängt nicht nur von mir allein ab, Nefrit.«
Im Ministerium traf die Nachricht aus Punt ein, dass Fürst Tutmosis durch die Fürstin von Punt gefangen gehalten wurde. Sie hatte ihn als Geisel genommen, um Seneferu zu zwingen, seine Truppen aus Kusch zurückzuziehen.
Kanefer hatte mir eine Kopie der Nachricht in den Palast schicken lassen, wo ich in meinem Garten über den Plänen von Sarenputs Grabmal brütete. Er hatte dem Boten eine Tonscherbe mitgegeben: »Komm sofort!«
Ich ging hinüber in den Wesirspalast und wurde sofort zu ihm gelassen.
»Die Preise für Weihrauch werden ins Unermessliche steigen!« Ich lief unruhig in Kanefers Arbeitsraum auf und ab. Kemet stand eine wirtschaftliche Krise bevor.
Der Wesir nickte. »Die Schatzkammer ist leer. Die Bauprojekte meines Vaters haben den Staatshaushalt ruiniert. Mein Bruder Merire war vorgestern bei mir und hat mir sein Leid geklagt. Die Tempel sind für die rituellen Handlungen auf den Weihrauch aus Punt angewiesen. Wenn wir ihn nicht mehr bezahlen können …«
»… dann wird dein Vater auf anderen Wegen sicherstellen, dass die Tempel von Kemet genug Weihrauch haben, um die vorgeschriebenen Zeremonien durchzuführen. Er wird Krieg führen.«
Am nächsten Tag traf durch einen Boten ein Brief von Tutmosis ein, der vier Tage nach der Nachricht der Fürstin von Punt an den König abgesandt worden war.
»Tutmosis, Fürst von Weset, an Seine Majestät Seneferu Nebmaat, Herr der Weltordnung. Ihr habt die Nachricht der Fürstin von Punt erhalten, dass sie mich hier gefangen hält. Meine Eskorte wurde hingerichtet und den Löwen vorgeworfen. Ich weiß nicht, welches meiner Worte oder welche Eurer Taten, Euer Majestät, ihren Zorn hervorgerufen hat. Ich kann nicht zulassen, dass der Herrscher Beider Länder erpresst wird. Ich weiß, was ich zu tun habe, und erbitte Euren Segen. Wenn Euch dieser Brief erreicht, wird es vollbracht sein. Grüße, General Tutmosis.«
Ich überbrachte der Königinmutter die Nachricht. Meresankhs Gesicht nahm die Farbe von Alabaster an, als ich ihr Tutmosis’ Brief vorlas. Sie ruhte mit gefalteten Händen auf ihrem Bett und starrte die Sterne an der Decke ihres Schlafgemaches an, während sie lauschte.
»Bei Osiris! Ich wusste, er würde handeln …«, flüsterte sie bestürzt.
»Er hat sich selbst getötet, um Seneferu vor der Erpressung zu schützen«, sagte ich.
»Ich habe ihn immer für seine kompromisslose Entschlossenheit geliebt. Er hat alle Schlachten gewonnen, auch seine letzte.«
Meresankh schloss für einen Moment die Augen, als wollte sie nachdenken. Dann griff sie nach einem kleinen Papyrusbriefchen, das auf dem Tisch neben ihrem Bett lag. Sie entfaltete es mit zitternden Händen und schüttete den darin verborgenen Staub in einen Becher mit Wein.
»Was ist das?«, fragte ich alarmiert.
»Das ist gegen Schmerzen.« Sie sah mich nicht an. Dann trank sie den Becher leer.
»Hat Sethi es dir gegeben?«, fragte ich.
»Nicht Sethi, Nefrit. Es ist nicht gegen körperliche Schmerzen, sondern gegen den Schmerz, an dem die Seele leidet.«
»Ich werde Sethi holen!« Ich sprang auf, aber sie ergriff meine Hand.
»Bleib ganz ruhig, Nefrit: Das Gift wirkt sanft.«
Ich war entsetzt. »Aber warum, Mutter?«
»Mein Leben hat keinen Sinn mehr ohne Tutmosis. Er ist der Mann, den ich liebe. Ich werde ihn in der Anderen Welt wiedersehen. Es tut mir Leid, wenn ich dich verlasse, Nefrit,
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