Die Herrin der Pyramiden
einfach zur Seite. Ich öffnete die Tür und betrat Khufus Arbeitsraum. Er saß an seinem Schreibtisch und blickte überrascht auf. »Nefrit, was bei allen … Wie siehst du denn aus?«
»Schöne Grüße von Sekhem!« Ich warf ihm eine Hand voll Erbsenschoten und Zwiebelschalen auf den Schreibtisch und stieß dabei das Tintenfass um.
»Kannst du mir sagen, was das soll?« Er war aufgesprungen.
»Das wollte ich dich fragen, du Mörder!«
»Wovon sprichst du überhaupt, Nefrit?«
»Sekhem ist heute Früh ermordet aufgefunden worden. Im Müll.«
Er starrte mich wortlos an.
»Du siehst nicht sehr überrascht aus, Khufu. Du hast offensichtlich eine Lösung für dein Problem gefunden.«
»Du glaubst doch nicht, dass ich Sekhem umgebracht habe?«
»Das glaube ich.«
Wir belauerten uns wie zwei sprungbereite Panther.
»In diesem Palast wohnen fast tausend Menschen, abgesehen von der Palastwache …«
»Neunhundertvierundsechzig!«, korrigierte ich ihn.
»… und du verdächtigst mich? Das ist absurd, Nefrit!«
»Du hattest ein Motiv, ihn zu töten!«
»Ach ja?«
»Sekhem war der Vater von Merits Sohn Bafre!«
»Also stimmt es doch! Sie hat mich betrogen.«
»Nicht mehr, als du sie betrogen hast, Khufu. Was ist mit Iya? Oder Semerkhet? Oder Isesi? Du hast dich nicht einmal bemüht, deine Affären mit verheirateten Frauen geheim zu halten.«
»Ich habe Sekhem nicht umgebracht!«
Vielleicht führten die Untersuchungen des Generals Rensi zu keinem Ergebnis, weil ich Khufu nicht glaubte.
General Rensi begann noch vor der Rückkehr des Königs aus dem Atum-Tempel mit seinen Verhören. Doch weder unter den Prinzen und Prinzessinnen noch unter der Dienerschaft konnte Rensi ein ernsthaftes Motiv für die Tat feststellen. Wer außer Khufu sollte Sekhem umbringen? Die meisten der Befragten kannten Sekhem und schätzten ihn als einen ehrlichen, aufrechten Mann. Niemand hatte eine Antwort auf die Frage, warum Sekhem ermordet worden war.
Mehr durch Zufall erfuhr ich von Rensi, dass Khufu an dem Tag, als Merit ihrem Sohn das Leben schenkte – an dem Tag, an dem Sekhem ermordet wurde – einen lauten Streit mit seiner Geliebten Iya hatte. Die Wachen vor ihrer Wohnung hatten diesen Zwischenfall nach der Wachablösung in der Kommandantur gemeldet. Ein entsprechender Vermerk fand sich in den Aufzeichnungen des Offiziers vom Dienst, allerdings mit der Angabe einer Sonnenzeit, die Stunden vor dem Mord lag. Rensi und ich verfolgten diesen Hinweis nicht weiter, weil er für die Aufklärung des Mordes nicht wichtig schien. Dabei waren wir der Lösung so nahe!
Nach der feierlichen Beisetzung von Henutsen und Sarenput nahm Seneferu die Regierungsgeschäfte wieder auf. Die Feierlichkeiten zur Kultaufnahme an der Pyramide von Pihuni standen unmittelbar bevor. Aufgrund der unvorgesehenen Ereignisse im Palast war der Termin zwei Mal verschoben worden. Kamose hatte mir zwei Briefe geschrieben, dass er die Arbeiten endlich abschließen wolle. Er war so ungeduldig wie der König vor Jahren, als der Bau nicht schnell genug fertig werden konnte.
Die feierliche Prozession von dreiunddreißig Schiffen brachte alle Würdenträger im dreiundzwanzigsten Jahr des Seneferu nach Pihuni, um das Grabmal für den Kult zu weihen. Wir erreichten den Hafen von Pihuni gegen Abend. Aus Sicherheitsgründen nächtigte die Familie an Bord der Barken, bewacht von einer Hundertschaft des Amun-Regiments.
Ich ging an Land und suchte den einzigen Menschen, der mir noch etwas bedeutete, aber ich konnte Kamose im Zelt des Bauleiters nicht finden. Also ging ich allein durch die Dunkelheit der Nacht.
Im Arbeiterlager hatte sich nicht viel verändert seit meinem Weggang vor dreizehn Jahren. Ich fand unsere alte Hütte. Die meisten Arbeiter hatten die Baustelle bereits verlassen und waren nach der sinkenden Flut in ihre Dörfer zurückgekehrt, die Hütte war unbewohnt.
Dann ging ich hinüber zur Pyramide und sah an ihren steilen, glatten Flanken hinauf bis ganz nach oben, wo am nächsten Tag die Spitze aufgesetzt werden sollte. Die erste wirkliche Pyramide mit glatten Flanken, die vollendet werden würde! Ich ging ein Mal um die
Djed Seneferu
herum und setzte mich zu Füßen der Pyramide auf einen Stein.
Ich fuhr herum, als ich hinter mir ein Geräusch hörte. Aber es war niemand da. Ich war allein am Fuß des riesigen Bauwerkes. Doch ich hatte mich nicht getäuscht. Das Geräusch von rieselndem Sand war unverkennbar. Ich stand auf und lehnte mich
Weitere Kostenlose Bücher