Die Herrin der Pyramiden
gewöhnt. Vorwärts, vorwärts, nicht stehen bleiben. Stehen bleiben bedeutete den Tod!
Das Erste, was ich von Khufu wahrnahm, war sein keuchender Atem.
Ich blieb stehen.
Khufu war hundert Schritte hinter mir und näherte sich schnell. Woher nahm er die Kraft, mir zu folgen? Es konnte sich nur um eine Einbildung handeln, wie die anderen Trugbilder. Ich starrte ihm entgegen in der Hoffnung, dass sich diese Sinnestäuschung in wenigen Augenblicken auflösen würde. Aber den Gefallen tat sie mir nicht.
Ich drehte mich um und begann zu laufen. Zunächst stolperte ich über meine eigenen Füße und landete im Sand, doch dann stand ich auf und floh weiter. Die Schritte hinter mir wurden lauter. Auch Khufu hatte zu laufen begonnen. Er keuchte. »Lauf nicht weg, Nefrit! Vergeude nicht deine Kraft!«
Ich drehte mich nicht zu ihm um.
Khufu kam näher. »Du kannst mir nicht entkommen, Nefrit!«
Von hinten warf er sich auf mich, ich stürzte und wir fielen zu Boden. Sein Gesicht war direkt vor mir, blutverschmiert. Woher kam all das Blut, das sein Gesicht, seinen Hals und seine Hände bedeckte?
Bei Osiris, fuhr es mir durch den Kopf, während ich ihn anstarrte. Hätte ich ihm doch auch den Dolch weggenommen! »Du hast Blut …«
»Das Pferd war ohnehin zu schwach, um uns weiter zu begleiten.«
Langsam richtete er sich auf und reichte mir den Wasserschlauch. Gierig trank ich einige Schlucke des von der Sonne erhitzten Pferdeblutes. Er entriss mir den Schlauch und nahm selbst einen tiefen Schluck. Das Blut lief ihm links und rechts über das Kinn.
Und dann öffnete er seinen Leinenschurz. Meine Nähe hatte ihn erregt.
»Nein!«, krächzte ich und wollte mich erheben, aber er lag mit seinem ganzen Gewicht auf mir und drückte mich in den heißen Sand.
»Doch, Nefrit! Jetzt ist es so weit! Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tun werde!«
Ich wehrte mich und schlug ihm ins Gesicht. Er zog seinen Dolch und presste ihn mir an die Kehle. »Halt still!« Mit beiden Knien drückte er meine Schenkel auseinander und drang brutal in mich ein. Ich war zu müde, um irgendetwas außer meiner Wut zu spüren. Ich lag ganz still und wartete ab, bis er fertig war. Viel Lust konnte auch er nicht empfunden haben. Als er neben mir in den Sand rollte, hatte er die Augen geschlossen. Er lächelte nicht.
Wenig später schliefen wir beide erschöpft ein. Er hielt mich in seinen Armen.
Gemeinsam setzten wir am Nachmittag unseren Weg fort. Khufu gab das Tempo vor. Er hatte mit seinem Gürtel meine rechte Hand an seine linke gebunden, sodass ich nicht fliehen konnte. Das Schwert hatte er mir abgenommen, mein Dolch steckte im Saum seines Schurzes. Aus einem Fetzen meines Kleides hatte auch er sich einen Turban gewickelt. Aus einiger Entfernung konnte man uns für Sinaiten halten.
Wir liefen bis zum Einbruch der Nacht und machten eine weitere Rast. Ich schlief in Khufus Armen, bis der Mond aufging. Dann weckte er mich, und wir setzten unseren Weg nach Westen fort.
Schweigend gingen wir nebeneinander. Wir hatten uns nichts zu sagen.
Am späten Nachmittag, als sich die grelle Sonne vor uns auf den Horizont gesenkt hatte, hörte ich neben dem Singen in meinen Ohren und dem lauten Pochen meines Herzens noch ein anderes Geräusch.
Das Donnern von Hufen?
Als ich mich umdrehte, sah ich sechs Reiter auf uns zugaloppieren. Auch Khufu blieb stehen und drehte sich um. Die Reiter kamen so schnell näher, dass eine Flucht sinnlos war.
Kanefer erreichte uns als Erster, gefolgt von Urnammu, drei sumerischen Kriegern und einem kemetischen Hauptmann.
»Osiris sei Dank, dass er euch aus seinem Totenreich entlassen hat! Endlich haben wir euch gefunden!« Kanefer stieg von seinem Pferd und reichte seinem Bruder seinen Wasserschlauch.
Khufu trank gierig in langen Zügen, und ich sah ihm dabei zu, während Urnammu mir einen Becher mit Wasser aus seinem Schlauch einschenkte. Ich leerte den Becher in einem Zug. Urnammu befeuchtete ein Tuch und legte es mir auf die heiße Stirn. Dann schenkte er mir erneut den Becher voll.
Kanefer kam zu mir herüber und fragte: »Ist alles in Ordnung, Nefrit?«
»Ich weiß nicht …«, sagte ich heiser.
»Hat Khufu dir etwas getan?«, mischte Urnammu sich besorgt ein.
»Er hat … er hat …«
»Was hat er getan?«, fragte Kanefer.
»Hat er dich geschlagen?«, drängte sich Urnammu zwischen uns.
»Nein«, antwortete ich mühsam.
»Hat er dich vergewaltigt?«, fragte Kanefer
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