Die Herrin der Pyramiden
Dann half er mir herunter.
Aus seinem Gürtel zog er ein Pergament, das er vorsichtig entrollte. Es war eine sumerische Landkarte.
»Wir sind hier. Ungefähr jedenfalls.« Er deutete mit dem Finger auf einen Punkt der Karte.
»Du hast eine Karte?«, fragte ich ungläubig.
Mittags rasteten wir unter einem Akazienbaum, dem einzigen Schatten innerhalb des sichtbaren Horizontes. Wir legten uns nebeneinander unter den Baum. Khufus Pferd war an den niedrigen Zweigen angebunden und starrte mit erschöpft gesenktem Kopf in die Ebene hinaus. Die Akazienblätter schmeckten ihm nicht, und die langen Dornen taten seinen Nüstern weh.
Khufu und ich nahmen jeder einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch, dann schliefen wir beide ein.
Am Nachmittag setzten wir unseren Ritt in Richtung Sonnenuntergang fort. Wie lange würden wir mit Khufus Wasser überleben? Der Ziegenschlauch war bereits mehr als halb leer.
Das Pferd erhielt weder Nahrung noch Wasser und wurde gegen Abend störrisch. Khufu und ich stiegen ab, bevor das Tier zu schwach wurde, uns beide zu tragen.
»Gib ihm Wasser!«, forderte ich Khufu auf.
»Das Wasser ist für uns, nicht für das Pferd.«
»Wir brauchen es, um die Wüste zu verlassen.«
»Das stimmt!« Khufu schien etwas anderes zu meinen als ich.
Wir marschierten die ganze Nacht hindurch und zogen das erschöpfte Tier hinter uns her. Wegen des verdurstenden Pferdes kamen wir nur langsam voran.
Wir sprachen nicht miteinander. Was hätten wir auch sagen sollen?
Ich begann selbst, den Durst zu spüren. Meine Zunge war angeschwollen in einem trockenen Mund, der nach Sand schmeckte.
Wie lange würden wir noch durchhalten?
Die nächste Rast machten wir während der Mittagshitze unter einem flachen Stein, der mitten aus der endlosen Wüste ragte. Khufu verzichtete zu meinen Gunsten auf seine Wasserration und war kurz darauf eingeschlafen.
Der Ziegenschlauch lag neben mir. Ich schüttelte ihn: Nur noch wenige Schlucke Wasser waren darin enthalten. Ich setzte den Schlauch an die Lippen und trank ihn leer. Dann legte ich ihn neben Khufu, der fest schlief.
Ich starrte hinaus in das grelle Licht jenseits des Schattens. Es war meine einzige Chance, ihm zu entkommen, aber war es wirklich eine Chance? Wie weit würde ich kommen?
Ich betrachtete ihn, wie er neben mir im Sand lag. Mit einem Seufzer drehte er sich auf die Seite und schlief tief und fest weiter. Er hatte im Verlauf des Vormittags seine Rüstung abgelegt und in der Wüste zurückgelassen. Er trug nur noch seine Sandalen und den Faltenschurz eines Generals. In seinem Gürtel steckte ein Dolch, ein Schwert und – die Landkarte.
Ganz langsam, ganz vorsichtig zog ich das Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel. Dann griff ich mir die Landkarte und erhob mich. »Leb wohl, Khufu!«, flüsterte ich.
Ich war zu schwach und zu müde, um meine Spuren zu verwischen. Mühsam setzte ich einen Schritt vor den anderen. Meinen Kopf schützte ich vor der sengenden Sonne, indem ich mir einen Fetzen meines zerrissenen Leinenkleides darum wickelte. Die Perücke und meinen schweren Goldschmuck hatte ich längst weggeworfen.
In der flachen Ebene nützte mir die Landkarte, die ich Khufu abgenommen hatte, nichts. Erst als ich gegen Abend den Bergen am Horizont näher gekommen war, versuchte ich das Gelände mit den Skizzen auf der sumerischen Karte zu vergleichen, um zu wissen, wo ich war.
Immer wieder sah ich mich um. Wie lange würde Khufu schlafen, bis er entdeckte, dass ich nicht mehr da war? Wie würde er reagieren? Würde er sein eigenes Leben retten oder würde er mir folgen, um mich zu suchen? Konnte er mich noch einholen? Hatte sein Pferd noch genug Kraft?
Khufu hatte kein Wasser mehr. Sein und mein erstes Ziel musste es sein, Wasser zu finden, um den Weg fortsetzen zu können. Wo konnte ich Wasser finden? Nur in einem Flusslauf. In den Bergen.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit schleppte ich mich dahin. Sobald die Sonne untergegangen war, sank ich zu Boden und wollte mich nicht mehr erheben. Ich war zu müde. Ich schlief fast die ganze Nacht.
Die Morgensonne stieg über den Horizont, als ich erwachte. Während ich den fernen Bergen entgegenstolperte, sah ich mich immer wieder um: Aber ich konnte nichts entdecken.
Am späten Vormittag begann ich, Halluzinationen von schattigen Oasen und rauschenden Wasserfällen zu haben. Manchmal ist der menschliche Geist schwächer als der Körper. Meine Beine hatten sich an die stolpernde Schrittfolge
Weitere Kostenlose Bücher