Die Herrin der Pyramiden
eine Priesterin des …«
»Ptah«, half ich ihm.
»… des Ptah auf Bäume klettert, um in fremde Gärten zu blicken.«
»Ich bin eben neugierig.«
»Was suchst du?«
Was sollte ich ihm sagen? Er würde mir ohnehin nicht glauben. Wie sollte ich ihn loswerden? Ich versuchte es mit der Wahrheit. »Ich suche Tutmosis.«
»Wer ist Tutmosis? Deine Katze, dein Hund? Dein Geliebter?«
»Mein Sohn!«
»Du hast einen Sohn?« Er sah seine Chancen auf einige lustvolle Stunden mit mir dahinschmelzen. »Und was macht dein Sohn in den Gärten fremder Familien? Ist er weggelaufen?«
»Mein Sohn kann noch nicht laufen. Er ist zwei Monde alt und ist entführt worden!«
»Entführt?« Wenn ich seine volle Aufmerksamkeit vorher noch nicht gehabt hätte, jetzt wäre ich ihrer sicher gewesen.
Ich hatte keine andere Wahl, als Hauptmann Neferakhet ins Vertrauen zu ziehen. Ich erzählte ihm eine Geschichte von einer Frau namens Nefrit, die ihrem Gemahl ein Kind geboren hatte, und von einer Geliebten namens Iya, die dieses Kind aus Eifersucht, weil sie selbst keine Kinder haben konnte, gestohlen hatte. Mehr musste er nicht wissen. Neferakhet versprach mir seine Unterstützung.
Wir hockten im Schatten des Feigenbaumes. Er fragte mich, ob er das Regiment mobilisieren solle, um Tutmosis zu finden.
»Bist du von deinem Ka verlassen, Hauptmann? Damit scheuchen wir die Entführer doch nur aus ihrem Versteck. Wir werden hier warten, ob etwas geschieht.«
Neferakhet und ich warteten sehr lange, aber kein Laut drang aus der Villa. Einmal stieg er auf den Feigenbaum, um zu sehen, ob die Schilfmatten vor den Fenstern sich verändert hatten.
Am Nachmittag, zur Zeit der größten Tageshitze, war ich eingeschlafen. Mein Kopf ruhte an seiner Schulter, und geduldig harrte er aus, bis ich wieder erwachte. Die Erschöpfung von der langen Wanderung im fahlen Mondschein vom Hafen nach Pihuni und die Suche innerhalb der Stadt hatten mich erschöpft.
Als ich die Augen aufschlug, sagte er: »Du hast geschlafen!«
»Ich war müde.«
»Dein Kopf lag an meiner Schulter …«
»Tut mir Leid, Hauptmann.«
»Ich habe den Arm um dich gelegt, weil es so bequemer für dich war. Du siehst schön aus, wenn du schläfst.«
»Hör auf mich zu verführen, Hauptmann. Ich bin verhei…«
In diesem Augenblick erklang ein Geräusch hinter der hohen Mauer von Merits Villa!
Wieder kletterte ich auf den Baum. Neferakhet half mir hoch. Dabei hielt er meinen Fuß länger fest als nötig. »Kannst du etwas sehen?«, fragte er von unten.
»Nein.«
»Vielleicht war es der Wind?«, meinte er.
»Es ist windstill, Hauptmann.« Ich sprang wieder auf den Boden und ging die Straße hinunter.
»Wohin willst du?«
»Ich will sehen, ob das Haus einen Hintereingang hat.«
Er folgte mir wie ein dressiertes Äffchen. Auf der anderen Seite der Villa fanden wir einen weiteren Eingang, der aber ebenso verschlossen war wie das Tor zur Straße.
Langsam kehrten wir zum Feigenbaum zurück, in dessen Schatten wir uns erneut niederließen. Er setzte sich so nahe neben mich, dass sich unsere Schultern und Arme berührten.
Die Sonne stand schon sehr tief über dem Horizont, und Hauptmann Neferakhet machte sich sicherlich Gedanken darüber, wie er mit mir die Nacht verbringen würde, als ich im Haus das Geschrei eines kleinen Kindes hörte.
»Tutmosis!«, flüsterte ich.
»Bist du sicher? Das hört sich für mich an wie das Geschrei irgendeines Kindes.«
»Du hast keine Kinder, nicht wahr?«
»Ich habe zwei Nichten, und das reicht mir.«
Ich sprang auf. »Hilf mir über die Mauer!«
Neferakhet hob mich hoch, sodass ich das Gesims der über fünf Ellen hohen Mauer erreichen konnte. Ich zog mich hoch, schwang ein Bein über die Mauer und saß rittlings auf dem Gesims. »Du gehst zum Hintereingang!«, befahl ich ihm, und er verschwand.
Ich sprang in den verlassenen Garten hinunter und schlich durch die Blumenbeete zum Haus.
Deutlich hörte ich Tutmosis schreien.
Vorsichtig zog ich die Schilfmatte zur Seite, die die Küche vom Garten trennte. Im Ofen brannte ein frisches Feuer, das Holz war noch nicht verglüht. Ein Tontopf mit Milch stand neben dem Feuer. Die Milch war noch nicht warm. Auf einem niedrigen Tisch lagen ein Sack mit Obst und Gemüse und ein Schlauch mit Ziegenmilch. Daneben ein Haufen Tücher aus weißem Leinen: Windeln!
Jetzt wusste ich, was Iya aufgehalten hatte. Sie war auf dem Markt von Pihuni gewesen. Also war sie allein, denn sonst hätte sie einen Diener
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