Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
entblößten, über schmuckbestickten Röcken. Als sie unseren Tisch passierten, erkannte ich den Anführer meiner Tänzertruppe. Er verneigte sich tief vor mir, und ich warf ihm eine weiße Rose zu.
John lehnte sich zu mir und flüsterte mir zu: »Warwick hat sie auf meinen Vorschlag hin herbestellt.« Dann zwinkerte er mir zu, dass ich lachen musste.
So ging es den ganzen Abend: Akrobaten führten atemberaubende Kunststücke vor, die besten Troubadoure des Landes sangen für uns, und Zwergenzwillinge vollführten die gefährlichsten Tricks mit einem riesigen Bären, dass wir alle die Luft anhielten.
Der große Saal von William Rufus war zum Bersten gefüllt mit illustren Gästen und hallte vor Jubel und allgemeiner Fröhlichkeit derer, die das Ende des Krieges und den Neubeginn feierten. Wir taten uns an Gans, Schwan und Tauben in Pastetenteig mit aromatischen Saucen gütlich, genossen gebratene Forelle und Rebhuhnschwänze sowie blumenverzierten Reiskuchen. Und wir tranken die edelsten, köstlichsten Weine, gewürzten Hypocras, Madeira und andere würzige Getränke und stießen bei jeder Gelegenheit auf die Gesundheit unseres hübschen Königs an. Am Ende des Abends entfuhren allen ehrfürchtige Laute, als ein Engel ganz in weißer Seide und Silber von der reich verzierten Stichbalkendecke schwebte, um König Edward IV. zu segnen und uns eine gute Nacht zu wünschen.
Am nächsten Morgen gingen die Feierlichkeiten weiter, und später am selben Tag ernannte König Edward seinen Bruder George zum Duke of Clarence und seinen kleinen Bruder Dickon zum Duke of Gloucester. Bevor wir wieder nach Norden aufbrachen, hörte ich, wie Edward Dickon ein goldenes Hosenband versprach. »Du sollst es bekommen, Dickon«, flüsterte er ihm zu, »sobald ich es mir leisten kann.«
Wir genossen die allgemeine Ausgelassenheit und Fröhlichkeit, bis wir schließlich, erschöpft von lauter Vergnügen, die Heimreise antraten. Das böse Omen der Bethlehemischen Kindermorde war längst vergessen.
Während der restlichen Monate des Krönungsjahres kehrte eine gewisse Ruhe und angenehme Eintönigkeit in mein Leben ein, wie ich sie in meiner Ehe bisher nicht gekannt hatte. Die beste Neuigkeit in dieser Zeit war die, dass Marguerite d’Anjous Cousin, König Charles VII., gestorben war. Mit ihm verlor sie ihre französische Unterstützung – zumindest vorerst. Charles’ Sohn, der neue König Louis XI., hatte seinen Vater gehasst und sich stets auf die Seite seiner Feinde geschlagen. Louis XI. verhaftete nicht nur Marguerites Gesandte, sondern schickte auch ihren Freund Brézé in den finsteren Kerker. Allerdings liebte König Louis sein Königreich sehr und konnte möglicherweise für eine veränderte Politik gewonnen werden. Aus diesem Grunde war Warwick entschlossen, Edward mit einer französischen Prinzessin zu verheiraten. Doch wie uns aus verschiedenen Richtungen zu Ohren kam, zog König Edward, der auf die Gunst der englischen Kaufleute angewiesen war, ein Handelsabkommen mit Burgund einem Ehevertrag vor. Was mir Sorge bereitete, denn ich wusste, dass es für John nicht gut wäre, sollten sich sein Bruder und der König wegen Frankreich überwerfen.
Im November traf ein Bote von Nan ein, die sich auf ihrer Burg in Middleham eingerichtet hatte. Sie schrieb, dass die Lebenskräfte der gebrechlichen Countess rapide schwanden. Daraufhin nahm ich die Kinder und reiste zu ihr.
Zwar linderten Warwicks Töchter Anne und Bella meinen Kummer ein wenig, als sie freudig kreischend herausgelaufen kamen, um mich zu umarmen, doch beim Anblick der Countess wurde ich tieftraurig. Maude hatte wieder geheiratet und mit ihrem dritten Gemahl, Sir Gervase Clifton, ein neues Leben begonnen; die Countess hingegen blieb in jenem Moment gefangen, in dem die Nachricht aus Wakefield sie erreicht hatte.
»Wie lange ist sie schon so?«, fragte ich Nan.
»Seit Monaten … ich weiß nicht mehr genau, seit wie vielen.«
Da die Countess nichts essen wollte, war sie schrecklich abgemagert. Ihre Haut spannte sich über den Knochen, und hatte sie in den ersten Wochen nach der Todesnachricht nicht schlafen können, lag sie nun in einem permanenten Schlummer. Sie öffnete nicht einmal mehr die Augen. Ich ging hinüber an ihr Bett. Steif und still wie ein Leichnam lag sie dort. Ihr mattgraues Haar fächerte sich auf dem Kissen, und ihre Züge waren von unsagbarem Schmerz verzerrt. Ob er körperlicher und geistiger Natur war, konnte ich nicht sagen. Ich berührte
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