Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
der Königin vor mir, die Hand in Hand mit dem Duke of York ging, doch ihr Gang war steif und ihre Züge versteinert. An jenem Tag hatte ich gedacht, dass König Henry sie wohl zum ersten Mal in ihrer Ehe zu etwas hatte bewegen können, das sie nicht wollte. Sie indes schien sich gänzlich anders daran zu erinnern.
Ach, die Menschen sehen, was sie sehen wollen, musste ich denken. Jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
»Als ich deiner Vermählung ins Haus Neville zustimmte«, sagte die Königin, »hatte ich auf einen Neuanfang zwischen den Yorkisten und unserer Regierung gehofft. Aber trotz all meiner Bemühungen und Opfer, all meiner Versuche, ihre Freundschaft zu gewinnen, all meiner Geduld, haben sie ihre Schwüre wiederholt gebrochen und die Waffen gegen uns erhoben! Erst vor einer Woche wollten sie den König in Kenilworth überfallen, und ich musste sie mit der Königsarmee abhalten!« Sichtlich verzweifelt hob sie den Kelch an und neigte das Gesicht nach unten.
Ihre Worte erschreckten mich genauso wie ihre tränenreiche Stimme. War es möglich, dass sie sich wahrhaftig für eine Friedensstifterin hielt? Falls ja, wie erklärte sie dann die vielen Hinterhalte und zahlreichen Mordkomplotte gegen den Duke of York und dessen Söhne, gegen Salisbury, Warwick, John und Thomas – vor anderen und auch vor sich selbst?
Diese Frage konnte ich ihr nicht stellen; also schwieg ich und antwortete im Geiste auf jede ihrer Schuldzuweisungen mit einer eigenen. Waren die Yorkisten nicht jedes Mal von einer großen Überzahl attackiert worden? Hatten sie nicht allein durch die geringe Mannstärke, mit der sie kamen, bewiesen, dass sie keine Gewalt gegen den König ausüben wollten? Hatten sie nicht wieder und wieder nur überleben können, weil sie schlicht Glück gehabt oder großen Mut gezeigt hatten oder die besseren Strategen gewesen waren? Hatten sie nicht die Schlacht gegen Lancaster gewonnen, die ihnen aufgezwungen worden war, und sich dennoch gleich hinterher vor Henry VI. verneigt und um Vergebung gebeten, obwohl sie mit Leichtigkeit die Macht hätten an sich reißen und den König absetzen können? Hatten sie nicht wiederholt durch ihre Taten wie ihre Worte gezeigt, dass sie nichts wünschten als eine gute Regierung und eine Entschädigung für erlittenes Unrecht?
Und zeugte dies alles nicht von einer bewundernswerten Selbstbeherrschung im Angesicht extremer Provokation?
» Mort de ma vie , ich bedaure, dass ich deine Heirat mit John Neville zuließ, mein armes Kind«, sagte sie. Ihre Worte schnitten durch meine Gedanken wie ein Dolch durch Seide.
»Oh, nein, meine Königin, ich danke Euch von ganzem Herzen für dieses Geschenk! An dem Tag, an dem Ihr uns Euren Segen gabt, begann für mich die Freude meines Lebens. Ich wünschte, Ihr würdet Mylord kennen, wie ich ihn kenne.«
»Dann hat er dich nicht geschlagen?«, fragte sie zu meiner Verwunderung.
Im ersten Moment war ich sprachlos. »Meine verehrte Königin, Sir John Neville ist einer Eurer edelsten Ritter. Er würde nie jemanden schlecht behandeln.«
»Und warum kämpft er dann so rücksichtslos gegen unsere treuen Lords?«
Ich musste meine Worte mit Bedacht wählen, denn die Königin sah nichts Verwerfliches an Somerset, Egremont oder ihren anderen Günstlingen. Sie war fürwahr eine gute Freundin – und eine üble Feindin. Ich senkte den Blick und sagte leise: »Meine Königin, Männer tragen Zwiste aus, die wir Frauen nicht verstehen können.«
Ihr stechender Blick ließ mich erröten.
»Ich verstehe«, sagte sie in einem Ton, der mir bedeutete, dass sie mich wirklich verstanden hatte. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und begann erneut, wütend auf und ab zu laufen. »Im Gegensatz zu meinem Henry sind die meisten Männer wie Hähne, stolzieren aufgeplustert umher und wollen uns beeindrucken. Es liegt in ihrer Natur, nehme ich an, aber es ist dennoch ermüdend!«
»Und deshalb brauchen wir Eure Geduld und Anleitung mehr denn je, meine Königin, denn Ihr seid ihrer aller Mutter.«
» Pardieu , wie recht du hast!«, rief sie aus und rang die Hände. »Ich bin genötigt, um meines Henrys willen dieses Reich an seiner statt zu regieren, und meine Lords stellen mich mit ihren Zankereien auf die Probe wie Söhne eine Mutter. Am ärgsten treibt es jedoch York. Nichts ist ihm jemals genug! Er verbreitet Lügen über mein Kind und befleckt meine Ehre! Er will König sein, meinem Sohn den Thron stehlen, und das erlaube ich nicht, niemals, bei meiner
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