Die Herrin des Labyrints
angefahren habe, Amanda. Aber du bist in der letzten Zeit so wenig mitteilsam geworden.«
»Na ja, sagen wir mal, du bist ja auch nicht besonders häufighier. Das ist kein Vorwurf, Ulli, aber du kommst abends immer erst spät nach Hause und bist dann so mit deinen Tagesproblemen beschäftigt, dass man an dich auch nicht so recht herankommt.«
»Wir leben uns ein bisschen auseinander, was, Amanda?« Ulli legte das Handtuch zur Seite und strich mir über den Rücken. Ich entspannte mich und fühlte einen Anflug von Traurigkeit.
»Vielleicht. Ich weiß nicht. Ulli, du bist so lieb zu mir. Na ja, meistens …« Ich gönnte ihm ein schiefes Grinsen. »Im Augenblick scheint sich alles irgendwie zu verändern.«
»Aber du musst doch nichts ändern, Amanda. Keiner verlangt das von dir. Bisher verlief dein Leben doch in ruhigen Bahnen. Aber du nimmst diese Sache mit der alten Frau viel zu wichtig, glaube ich.«
»Es ist nicht nur das. Ach, Mist. Ich glaube, ich habe nur Hunger.«
Seit langer Zeit unterhielten wir uns an diesem Abend wieder ganz friedlich über alle möglichen Themen, nur nicht über meine Probleme. Später stand ich dann auf und setzte mich neben ihn, lehnte meinen Kopf an seine Schulter und meine Hüften an seine. Es war schön, seine körperliche Wärme zu spüren. Außerdem war er ein attraktiver Mann. Er hatte ein ungewöhnlich ebenmäßiges Gesicht von geradezu klassisch-männlichem Schnitt, seine Augen waren von einem lichten Blau, das jetzt bei der schummerigen Beleuchtung jedoch dunkel wirkte. Er hatte hellbraune, leicht gewellte Haare, um die ihn jede Frau beneiden konnte. Ich bedauerte nur, dass er sie kurz geschnitten trug, aber sein Argument, er könne im Bankgeschäft schwerlich mit einem Mozart-Zopf auftreten, musste ich gelten lassen. Meine Hand, die ich auf seinem Oberschenkel liegen hatte, spürte die straffen Muskeln seiner Beine. Ulli achtete auf seinen Körper und nahm sich wenigstens zweimal in der Woche die Zeit, ein Fitness-Studio aufzusuchen. Das Resultat sah nicht nur gut aus, sondern es fühlte sich auch gut an. Obwohl er ein sanfter Liebhaber war, der selten eigene Initiative ergriff, war Ulli liebevoll und zärtlich, und als wir zu Bett gingen, schlüpfte er unter meine Decke und suchte mit seinenHänden behutsam nach einem nackten Stück Haut. Doch plötzlich wurde ich von einer derartigen Starre befallen, dass ich ihn unsanft zur Seite stieß und von ihm wegrückte.
»Amanda, was ist denn?«
»Nichts ist, aber ich möchte schlafen.«
»Dann kuschel dich in meinen Arm.«
Er zog mich an sich, aber mir war in diesem Moment jede körperliche Berührung zuwider. Mit einem Ruck warf ich die Bettdecke zur Seite und floh in Patricks Zimmer, das während seiner Abwesenheit leer stand. In den kühlen Laken dort starrte ich in die Dunkelheit, hoffte darauf, weinen zu können, aber meine Augen blieben trocken.
Es war das Gefühl eines unendlich schmerzlichen Verlustes, das mich gefangen hielt, und ich wusste noch nicht einmal genau, was ich vermisste. Was fehlte denn in meinem Leben, damit wieder Farbe in das einheitliche Grau kam? Ein kleiner Funke blitzte vor meinem inneren Auge auf, glühte golden und verlosch. Er hinterließ die Idee eines Glitzerns, wie es in ganzen Kaskaden in mir geglüht hatte, als ich tanzte. Sollte ich das wirklich so vermissen, oder war es das andere Ereignis, das mit diesem Feuerwerk im Zusammenhang stand. Es war wohl an der Zeit, sich der Erinnerung zu stellen. Und hier, im Bett meines Sohnes, trat ich den mühsamen Weg zurück in die Vergangenheit an, bis zu dem Tag, als er in meinem Schoß empfangen wurde.
Vor zwölf Jahren, fast genau – nein ganz genau – auf den Tag war es passiert.
Es war die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich studierte, und wenn ich auch weiterhin zu Hause wohnte und nicht die Freiheit einer Studentenbude besaß, so war ich doch der elterlichen Obhut ein klein wenig entronnen. Ihr zuliebe hatte ich mich nicht um einen Studienplatz in einer anderen Stadt beworben, dafür hatte ich in einer unserer üblichen langen und sachlichen Diskussionen durchgesetzt, nicht über jeden Schritt meiner Unternehmungen Rechenschaft ablegen zu müssen. Ganz frei von mütterlicher Kritik war ich trotzdem nicht, denn als ich an jenem Abend aus dem Haus ging, musste ich mir Vorhaltungen über mein Aussehenmachen lassen. Es war Semesterende und damit auch die Zeit für verschiedenste Feten und Partys. An diesem Wochenende stand eine
Weitere Kostenlose Bücher