Die Herrin Thu
vorkommen, als wäre ich in den paar Stunden um zehn Jahre gealtert. Du bist für deine Beteiligung an dem Ganzen nicht verhaftet worden, Kaha. Vielleicht begnadigt man dich.“
„Vielleicht“, antwortete ich und folgte meinem Gebieter hinaus in die Dunkelheit.
Dritter Teil
THU
Zehntes Kapitel
An dem Nachmittag, als ich Nesiamuns Haus verließ, war es noch immer heiß, aber durchaus nicht unangenehm. Rasch ging ich den Weg am See entlang und kam mir dabei in dieser eleganten, stillen Gegend nackt und bloß vor. Ich hatte Kamen vorgemacht, daß ich keine Angst vor der Stadt hätte, doch das war gelogen, um ihn zu beruhigen. Ich kannte Pi-Ramses kaum. Als ich noch bei Hui lebte, war mein Tagesablauf streng geregelt gewesen, meine Bewegungsfreiheit auf Haus und Garten beschränkt. Alles andere blieb mir verschlossen. Daher kuschelte ich mich nachts immer vor meinem Fenster zusammen, nachdem Disenk die Lampe gelöscht und sich auf ihrer Matte vor meiner Tür zur Ruhe begeben hatte. Ich starrte durch das Geäst der Bäume hinaus in das Dunkel und fragte mich, was wohl dahinter liegen mochte.
Natürlich war ich auf meinem Weg aus Aswat mit dem Boot durch die Stadt gekommen, doch da war ich aufgeregt und eingeschüchtert gewesen, und das Vorbeiziehende war in meiner Erinnerung nur ein Gewirr von Farbe, Form und Lärm. Es hatte nichts mit dem zu tun, was vorher oder hinterher war. Zuweilen wurden Gelächter und laute Unterhaltung vom unsichtbaren See bis zu mir geweht. Von Zeit zu Zeit erreichte mich Fackelschein, der auf einer erleuchteten Barke aufflackerte, die allzu schnell an Huis Pylon vorbeiglitt, und so wurden Huis Mauern schließlich die Grenzen meiner Wirklichkeit, und die Stadt kam mir wie ein Traumbild vor: Sie war da und entzog sich mir zugleich.
Später hatte man mich in den Palast gebracht, damit ich den Pharao behandelte. Hui und ich waren in einer Sänfte getragen worden. Ich hatte ihn gebeten, die Vorhänge nicht zuzuziehen, und er hatte es erlaubt, doch ich hatte nur den Weg am Fluß gesehen mit seinem spärlichen Verkehr und der Sonne auf dem Wasser und mit noch mehr Anwesen und noch mehr Bootstreppen. Als ich in den Harem aufgenommen wurde, nahmen Disenk und ich denselben Weg. Das Herzstück der Stadt lernte ich später gut kennen, nämlich den ausgedehnten, vielschichtigen Bezirk mit Palast und Harem, doch die Gegenden, die ihn mit ihren vielen Zuflüssen speisten, blieben mir unbekannt.
Hunro hatte mich einmal auf die Märkte mitgenommen, doch da hatten wir in unserer Sänfte geruht und geplaudert, waren zwar einige Male ausgestiegen und hatten die zum Kauf feilgebotenen Waren befühlt, aber ich hatte nicht auf die Straßen geachtet, durch die sich unsere Begleitmannschaft einen Weg gebahnt hatte. Warum auch? War ich nicht die verhätschelte und behütete Herrin Thu, deren weiche Fußsohlen niemals die ausgefahrenen, glühheißen Straßen betreten mußten, auf denen der Rest der Bevölkerung herumwimmelte, und würde es nicht immer Soldaten und Diener geben, die die Kluft zwischen mir und dem Staub und Gestank von Pi-Ramses bereitwillig durchquerten?
Immer. Mit einem Ruck kam ich zu mir und verzog das Gesicht. Immer war eine lange Zeit. Die hübschen Sänften gab es nicht mehr, die Soldaten und Diener waren abgezogen, und jetzt stand ich im Begriff, diese Kluft selbst und auf Füßen zu durchqueren, die durch jahrelange Vernachlässigung so schwielig geworden waren, daß sie dabei nicht mehr schmerzten. Der Pharao hatte bestimmt, daß ich in meiner Verbannung ohne Sandalen gehen sollte, und zwar für immer, und das war die schlimmste Schande, denn Reichtum und Stellung einer Edelfrau ließen sich an vielen Dingen ablesen, doch der Zustand ihrer Füße war der endgültige Beweis für Herkunft und Adel.
Mir fiel wieder ein, wie entsetzt Disenk über meine Füße gewesen war, als Hui mich in ihre besitzergreifende Obhut gab, wie sie diese Tag für Tag abgeschmirgelt und geölt, eingeweicht und parfümiert hatte, bis sie so rosig und weich waren wie der Rest. Nicht einmal morgens durfte ich den Fußboden ohne Leinenschuhe berühren. Und nach draußen durfte ich nicht ohne Ledersandalen. Sie kümmerte sich mehr um sie als um mein vernachlässigtes Haar und meine sonnenverbrannte Haut, mehr als um die Unterrichtsstunden in guten Manieren und Kosmetik, denn für Disenk waren meine Füße Kennzeichen meiner bäuerlichen Herkunft, und sie war erst an dem Tag zufrieden, als sie mit einer
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