Die Herrin Thu
hatte. Dorthin hatte man auch mich abgeschoben, als ich durch meine ungewollte Schwangerschaft das Interesse des Pharaos verspielt hatte.
Ich machte mich auf den kurzen Weg mit Isis an meiner Seite, die mir den Sonnenschirm über den Kopf hielt. Meine Stellung im Harem war inzwischen allgemeines Gesprächsthema geworden, obwohl ich nie herausfand, wie sich derlei Neuigkeiten verbreiteten, und Frauen, die mich mit so viel Vorsicht gemustert hatten, daß man es fast schon als Feindseligkeit bezeichnen konnte, grüßten mich jetzt freundlich. Ich erwiderte ihren Gruß, als ich den Rasen überquerte. Auf der anderen Seite trat ich kurz in den Schatten des schmalen Ganges, der zwischen den vier Haremsgebäuden und dem Palast verlief, und wandte mich nach links. Der Kinderflügel lag am weitesten vom Haupteingang entfernt, und schon bald tauchten Isis und ich in einem Strudel aus Lärm und Leben unter.
Hinten, am Ende des offenen Platzes, konnte ich die Wachtposten sehen, die zu beiden Seiten einer geschlossenen Zellentür standen. Ich näherte mich ihnen und blieb stehen. Beide trugen die Insignien der Horus-Division des Prinzen, nicht die der regulären Haremssoldaten, und einer war den Abzeichen nach ein Hauptmann. Den sprach ich an. „Ich bin Thu und hier Gast des Prinzen“, sagte ich förmlich. „Ich möchte mit der Gefangenen reden.“ Er blickte mich prüfend an.
„Hast du es schriftlich vom Hüter der Tür oder vom Prinzen?“ wollte er wissen. Statt einer Antwort reichte Isis mir die Rolle des Prinzen, und ich gab sie an ihn weiter. Er las sie sorgfältig und wollte sie in seinen Gürtel stecken, doch ich kam ihm zuvor.
„Die möchte ich gern behalten“, sagte ich bestimmt. „Falls mein Besuch zu Schwierigkeiten führen sollte, ist sie der Beweis, daß der Prinz mir erlaubt, hier zu sein.“ Ich wußte nur zu gut, wie falsch königliche Hoheiten sein konnten, und ich hatte nicht die Absicht, mich ausschließlich auf Ramses’ guten Willen zu verlassen. Der Hauptmann blickte erstaunt, doch nach kurzem Zögern gab er Isis die Rolle zurück.
„Mein Vertrauen in dich ist größer als deines in den Prinzen“, sagte er bissig. „Deine Dienerin bleibt draußen. Du weißt ja, daß mein Soldat und ich dich begleiten müssen.“ Ich nickte. Er wandte sich zur Tür, löste die Schnur, die sie verschlossen hielt, und stieß sie auf. Mein Herz fing an zu rasen, doch ich zwang mich zur Ruhe, reckte die Schultern und ging zusammen mit den Männern hinein. Dann machte der Hauptmann die Tür hinter uns zu.
Ein schmaler Strahl hellen Tageslichts fiel durch einen Fensterschlitz. Er erhellte den ganzen Raum, auch wo er nicht hintraf, und trotzdem war mein erster Eindruck nach dem strahlenden Morgen vor der Tür, daß es hier dunkel war. Eine Frau saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden direkt unter dem Sonnenstrahl und hatte den Kopf über eine Näharbeit gebeugt. Zunächst hielt ich sie für Hunro, doch als sie mit dem Leinen in der Hand aufstand und sich verbeugte, merkte ich, daß es sich um eine Dienerin handelte. Mein Blick fiel nur kurz auf sie und wanderte dann zum Dunkel hinter ihr. Jemand bewegte sich, und ich drehte mich halb um, als sich Hunro aus dem Dämmerlicht löste und vor mich hintrat.
Sie hatte sich verändert. Einen kurzen Augenblick lang betrachteten wir uns, und ich bemerkte mit einer Mischung aus Genugtuung und Bestürzung, daß ihr Tänzerinnenleib nicht mehr schlank und wendig war, sondern sich bedenklich gerundet hatte. Ihr einst so selbstbewußter Mund, der so gern lachte, war jetzt mürrisch herabgezogen, und die früher makellose Haut, die ihre überschäumende Lebenskraft gespiegelt hatte, sah ungesund und fahl aus. Sie war noch immer schön, doch ihre Schönheit berührte nicht mehr, hatte die klare, helle Ausstrahlung verloren, um die ich sie so beneidet hatte. „Die Jahre sind mit uns beiden nicht gut umgesprungen“, platzte ich heraus. Ihre Augen wurden schmal, und sie lächelte bedächtig, kalt.
„Ach“, sagte sie. „Das ist ja Thu, die Frau, die das Unmögliche geschafft hat und von den Toten zurückgekehrt ist. Hätte ich gewußt, daß mir diese Ehre zuteil würde, ich hätte mich mit Khol und Henna schminken lassen. Dein Aufenthalt im Grab ist weder deinem Aussehen noch deinem Charakter gut bekommen, denn trotz der Kosmetikerin, die man dir zugewiesen hat, siehst du unter deiner Schminke noch immer wie ein ausgedörrter Leichnam aus.“ Ein Mundwinkel hob sich zu einem
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