Die Herrin Thu
höhnischen Grinsen. „Und was deinen Charakter angeht, so hast du noch immer die Manieren einer Bäuerin. Für eine Edelfrau wäre es unter ihrer Würde, meine Zelle zu betreten, nur um sich hämisch an meinem Schicksal zu freuen. Vermutlich hast du dich aus diesem Grund hier eingeladen.“
„Du hast recht“, sagte ich ungerührt. „Aber ich bin nicht nur aus hämischer Freude hier, denn bislang ist über dein Schicksal oder meines noch nicht endgültig entschieden worden, Hunro. Ich wollte der Frau gegenüberstehen, die mich angelogen, die das Vertrauen und die Freundschaft verraten hat, die sie mir scheinbar geboten hatte, und die mir ihre Verachtung schließlich dadurch gezeigt hat, daß sie sich von mir abwandte. Das sind für mich nicht die Eigenschaften einer wahren Edelfrau.“ Ihr Blick wurde finster, und sie fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe.
„Für eine Entschuldigung bin ich mir zu schade“, sagte sie. „Und zu Zankereien oder Anschuldigungen hinsichtlich der Vergangenheit überlistest du mich auch nicht, nicht solange diese Männer zugegen sind und sich jedes Wort merken, das ich sage. Du hast mir gegenübergestanden. Jetzt geh.“
Ich zögerte, denn mittlerweile dachte ich, wäre ich doch bloß nicht gekommen, und schämte mich für mein niederes Verlangen nach so kleinlicher Rache. Das helle, trügerische Phantom, das so spöttisch durch meine Träume gegaukelt war, gab es nicht mehr. Statt dessen hatte ich eine verbitterte, besiegte Frau angetroffen, unter deren Trotz die Angst lauerte. Wo war die sorglose Tänzerin geblieben? „Hunro, was ist mit dir geschehen?“ fragte ich sie. „Warum hast du mit dem Tanzen aufgehört?“ Unwillkürlich blickte sie ihren Körper mit angeekelter Miene an, hatte sich aber sofort wieder im Griff.
„Weil ich irgendwann gemerkt habe, daß ich damit nicht aus dem Harem tanzen konnte“, sagte sie matt. „Ramses hat sich geweigert, mich gehen zu lassen, und danach war Schluß.“ Sie blickte mir ins Gesicht. „Als ich jung war, erschien es mir besser, Nebenfrau des Pharaos zu sein als Ehefrau eines schlichten Adligen. Ich habe nicht an die Zukunft gedacht. Ich habe keine Ahnung gehabt.“
„Ich auch nicht“, flüsterte ich, und als ich das sagte, ging mir auf, daß ich mehr Glück gehabt hatte als sie, auch wenn mein Leben noch so hart gewesen war. Ich hatte Böses getan und dennoch die Freiheit erhalten, aber Hunro würde den Folgen ihrer Schuld nicht so leicht entrinnen. „Hunro, verzeih mir, daß ich zu dir gekommen bin“, sagte ich aufrichtig.
„Auch wenn ich weiß, daß du mich umbringen wolltest und es wahrscheinlich noch immer willst, falls sich dir die Gelegenheit bieten sollte, es war grausam von mir.“ Sie ballte die Fäuste und machte einen Schritt auf mich zu.
„Oh, wie großmütig von dir“, sagte sie leise, aber trotzdem verächtlich. „Wie huldvoll. Wie nett. Die siegreiche Thu läßt sich zu ihrer gestrauchelten Feindin herab. Spar dir dein Mitleid. Du hast recht. Ramses hätte dich sterben lassen sollen. Ich habe dich vom ersten Augenblick an nicht gemocht, als du vor vielen, vielen Jahren vor meiner Zellentür gestanden hast, und heute halte ich auch nicht mehr von dir. Laß mich in Ruhe!“ Brüsk drehte sie sich um, aber nur mit dem Abglanz ihrer früheren Anmut, schritt durch den hellen, schmalen Lichtstrahl und verschwand im Dunkel der Ecke, und ich wandte mich gehorsam zur Tür. Einer der Soldaten machte sie für mich auf, und ich ging an ihm vorbei.
Auf der Schwelle blieb ich stehen, atmete tief die reine, heiße Luft ein und hob das Gesicht zur Sonne. Isis kam mit erhobenem Sonnenschirm herbeigeeilt, und ich spürte die Hand des Hauptmanns unter meinem Ellenbogen, die mich sacht vom Zelleneingang fortschob. Ich bedankte mich mit einem Nicken und entfernte mich über den Rasen des Hofs. Auf einmal merkte ich, wie ausgedörrt meine Kehle war und daß meine verspannten Schultern schmerzten. Aber ich genoß es, wie meine Beine ausschritten, genoß das Vorrecht, sie ungehindert bewegen zu können und frei zu sein. Ich wagte keinen Blick zurück.
Die verbleibende Woche, ehe Nachricht vom Prinzen kam, verbrachte ich in einem dumpfen Nebel, aus dem ich nur auftauchte, wenn ich mich wegen Hunro schämte oder an die Unversöhnlichkeit der Maat dachte. Die Gerechtigkeit ereilte sie, ereilte sie allesamt trotz ihrer Bemühungen, den Lauf der Maat zu ihren eigenen Zwecken zu verfälschen. In Ägypten würde wieder das
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