Die Herrin Thu
zog. Er sagte nichts. Er murmelte auch keine tröstlichen Worte und strich mir nicht übers Haar. Er hielt mich einfach im Arm, bis Mitleid und Kummer und der sonderbare Verlustschmerz herausgeströmt und mir über die Wangen bis in den Stoff meines Kleides gelaufen waren. Dann schob er mich von sich fort. „Jetzt wirst du schlafen können“, sagte er. „Und wenn morgen dein Sohn kommt, bin ich nicht mehr für dich verantwortlich. Der Prinz hat dich freigegeben. Thu, du wirst mir fehlen.“ „Und du mir auch, Amunnacht“, erwiderte ich gerührt. „Mir kommen die letzten siebzehn Jahre wie nichts vor. Ich würde den Pharao noch gern besuchen, ehe ich gehe. Kannst du das einrichten?“ Er schüttelte den Kopf.
„Ramses hat nur noch ein paar Tage zu leben“, sagte er. „Der Palast bereitet sich schon auf die Trauerzeit vor, und die Sem-Priester legen die Einbalsamierungsinstrumente bereit. Laß ihn in Frieden ziehen. Vieles geht jetzt zu Ende.“ Schon wieder dieses Wort. Ich wischte mir das brennende Gesicht mit dem Ärmel meines Kleides, und dabei überfiel mich eine gesunde Müdigkeit. Ich holte tief und abgehackt Luft.
„Sei bedankt für deine Fürsorge, Hüter der Tür“, sagte ich mit belegter Stimme. „Ich wünsche dir ein langes und gesundes Leben.“ Rasch beugte ich mich vor und küßte ihn auf die Wange, dann entfernte ich mich schnell auf dem langen, gepflasterten, dunklen Pfad und ließ ihn zurück. Ich spürte im Gehen seine Augen, und als ich in den Eingang meines Hofes abbog, blickte ich zurück, doch da war er bereits gegangen.
Ich sank auf mein Lager und im selben Augenblick in einen traumlosen Schlaf, aus dem ich in der gleichen Lage erwachte, in der ich den Kopf aufs Kissen gelegt hatte. Gähnend reckte und streckte ich mich, bis meine Gelenke knackten, dann stellte ich die Füße auf den Boden. „Isis?“ rief ich, und ehe ich mein zerknautschtes Hemd ausgezogen hatte, stand sie mit fragendem Blick und gekräuselter Stirn neben mir.
„Geht es dir besser, Herrin Thu?“ fragte sie zögernd. Ich nickte.
„Es geht mir besser“, antwortete ich. „Heute wird man dich einer anderen Herrin zuweisen. Ich verlasse den Harem für immer. Und ich kann selbst zum Badehaus gehen, während du mir Essen holst, denn ich bin schrecklich hungrig. Los, beeil dich.“ Sie befolgte meinen Befehl jedoch nicht, sondern hob mein Nachthemd auf, zerknüllte es gedankenverloren und biß sich auf die Lippen. „Sonst noch etwas?“ drängte ich ungeduldig.
„Ich habe nicht gewußt, daß du schon so bald gehst“, platzte sie heraus. „Verzeih mir die Dreistigkeit, Herrin Thu, aber ich habe dir gern gedient und möchte das mit deiner Erlaubnis auch weiterhin tun. Falls du noch keine Leibdienerin hast, die dir aufwartet, nimm mich bitte mit.“ Ich blickte sie groß und erschrocken an.
„Aber, Isis, ich habe noch kein Heim. Ich weiß nicht einmal, wohin ich ziehe. Vielleicht findest du dich eines Tages auf einem öden Landsitz in der Wüste Nubiens eingesperrt. Hier im Harem lebst du im Zentrum der Macht. Du mußt nicht viel und schwer arbeiten. Du kannst in die Stadt gehen, wann du willst. Bei mir würdest du dich langweilen und unglücklich sein.“ Sie schüttelte heftig den Kopf und knüllte das Leinen noch heftiger.
„Ich weiß alles über dich“, sagte sie. „Ich habe den Klatsch gehört. Ein paar von den Frauen haben Angst vor dir. Einige beneiden dich, weil du dem Prinzen nahe stehst. Sie leben so.“, sie hielt inne und suchte nach Worten, „. wenig, Herrin Thu, und ihre Dienerinnen werden dabei auch immer weniger.
Ich bin lange genug hier gewesen, ich will nicht für den Rest meines Lebens von einer unzufriedenen Nebenfrau zur nächsten geschickt werden.“
„Was willst du denn dann?“ fragte ich neugierig. „Hast du auch Angst vor mir, Isis? Oder siehst du in mir eine Abenteurerin, mit der du ein aufregendes Leben führen wirst? Aber du kannst mir glauben, ich will nichts anderes mehr als in meinem eigenen Garten sitzen, meinen eigenen Wein trinken und in meinem eigenen Boot jeden Abend bei Sonnenuntergang auf dem Nil staken.“
„Und ich baue dir im Garten ein Sonnensegel auf“, sagte sie eifrig. „Ich schenke dir den Wein ein und ordne die Polster auf dem Deck deines Bootes. Ich massiere und schminke dich. Ich werde tüchtig und unaufdringlich sein. Ich habe keine Angst vor dir, Herrin Thu. Ich habe Angst, daß ich sterbe, ohne überhaupt gelebt zu haben.“
Das gab mir einen
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