Die Herrin Thu
Stich, denn ich hörte Hunros Stimme, die jetzt für immer schwieg, und als ich die junge, flehende Miene dieses Mädchens sah, kam ich mir auf einmal alt vor.
„Na gut“, sagte ich seufzend. „Aber komm mir nicht angejammert, wenn du merkst, daß ich nicht die Absicht habe, mich in den Kreisen der Wohlhabenden zu bewegen, und du dich langweilst. Sprich mit dem Hüter der Tür und besorge dir eine schriftliche Erlaubnis. Und jetzt hol mir zu essen!“ Sie verbeugte sich mit einem glücklichen Lächeln, und ich begab mich im strahlenden Morgen zum Badehaus.
Gesäubert und geölt kehrte ich in meine Zelle zurück und speiste mit Genuß, ließ mir jeden Bissen, den mir Isis hingestellt hatte, auf der Zunge zergehen. Ich tunkte gerade die Finger in eine Schüssel mit warmem Wasser, als sich einer der Haushofmeister verbeugte und vor der Zelle ein Aufruhr entstand. Er reichte mir eine Rolle.
„Das ist eine Liste der Gegenstände, die du aus dem Lager angefordert hast“, beantwortete er meine Nachfrage. „Die Truhen sind da. Der Hüter der Tür bittet dich, gegen Sonnenuntergang reisefertig zu sein. Er erinnert dich auch daran, daß sich in einer der Truhen das Geschenk des Königs befindet, nämlich die fünf Deben Silber in einer Extra-Schatulle zusammen mit zwei Rollen, die der Einzig-Eine höchstpersönlich diktiert hat. Die darfst du erst entrollen, wenn du am Ziel angekommen bist.“
„Aber ich habe kein Ziel“, rief ich hinter ihm her, doch vergebens. Er und die Diener waren schon gegangen. Ich wandte mich an Isis. „Mach die Truhen auf“, sagte ich. „Darin findest du Kleider und Sandalen und Schminke. Wähle, was du willst, und kleide mich an. Ich will in eigenen Kleidern durch diese Tore gehen. Dann magst du den Hüter der Tür suchen und ihn überreden, daß er dich mit mir gehen läßt.“
Ich ging zu meinem Stuhl und hörte mir ihre Entzückensschreie an, während sie die Truhen durchstöberte. Ich habe kein Ziel, dachte ich auf einmal hochgestimmt. Ich bin frei. Heute Abend sehe ich die Lichter des Harems und des Palastes zum letzten Mal und lasse sie hinter mir. Wohin gehe ich? Einerlei, es ist mir einerlei.
Lange vor der festgesetzten Zeit war ich reisefertig, saß draußen vor meiner Tür auf einer der großen Truhen, während Isis pflichtbewußt wie immer hinter mir die Zelle aufräumte. Ich wäre bis zum letzten Augenblick drinnen geblieben, doch als Isis den Deckel des hübschen Kosmetikkastens zuklappte, den ich mir im Lager ausgesucht hatte, war die Atmosphäre anders und mir fremd geworden. Ich war nicht mehr die Frau, die dort vor so kurzer Zeit eingezogen war, und daher fing die Zelle stumm an, mich auszuschließen. Und mir wiederum waren ihre Abmessungen, ihre Möbel, ja, sogar ihr Geruch auf einmal fremd, ich schüttelte sie ab wie eine schützende Hülle und betrat den Weg, der mich nicht nur aus dem Frauenflügel führte, sondern auch in ein neues Leben.
Ich trug Kleider und Geschmeide, die ich noch nie zuvor getragen hatte: ein durchsichtiges Kleid in einem eigenartigen Dunkelrot, das mit Goldfäden durchwirkt war, einen Gürtel aus verschlungenen goldenen Lotosblüten, Armbänder aus Goldblättern, deren zierliche Adern mit Karneol eingelegt waren, und von dem Stirnreifen, der mein gelöstes Haar hielt, hingen mir Goldtropfen auf Haar und Hals. Ein einzelner großer, beinerner Skarabäus in ziseliertem Gold zierte meinen Finger, und auf meinen Lidern glitzerte Goldstaub.
So wartete ich aufgeputzt, als ob ich zu einem prächtigen Fest im Bankettsaal gehen wollte statt in eine ungewisse Zukunft, die Füße nebeneinandergestellt, die hennaroten Handflächen auf den Knien, umweht vom kostbaren Duft der Duftsalbe, die Isis mir zwischen die Brüste massiert hatte und die nun ihren moschusartigen Duft entfaltete. Es gab niemanden, dem ich Lebewohl sagen wollte. Von Amunnacht hatte ich mich bereits verabschiedet, und der Pharao verkraftete keine weitere Begegnung. Ich auch nicht. Falls der Prinz mich wiedersehen wollte, würde er nach mir schicken. Ich hätte einen Schreiber anfordern und einen Brief an meinen Bruder und meine Familie in Aswat diktieren können, doch ich wollte meine feierliche Vorfreude, mein Glück voll auskosten.
So saß ich regungslos in der lauen Brise auf dem Hof, während Isis ihre Putzarbeit beendete, herauskam und mir Gesellschaft leistete. Ich sagte, sie solle ihre Habseligkeiten aus ihrer Zelle holen und Lebewohl sagen, wo immer dies erforderlich sei.
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