Die Herrin Thu
nackt, und das Haar stand ihm wirr um den Kopf. „Eine meiner Karawanen zieht nach Nubien“, sagte er. „Ich habe vor, bis Theben mitzureisen. Dort möchte ich am Schrein des Amun-Tempels beten, und auf der Rückreise mache ich in Fayum halt und besuche deine Mutter und deine Schwestern. Ich werde für einige Wochen fort sein, vielleicht auch länger. Schaffst du es ohne mich?“
„Aber selbstverständlich“, versicherte ich ihm rasch. „Das weißt du doch. Ich habe Setau, und vermutlich wird auch Pa-Bast hier bleiben. Warum fragst du?“ Er blies die Wangen auf. „Weil ich mir deinetwegen Sorgen mache, aber ehrlich gesagt, heute siehst du besser aus. Hast du noch immer diese Träume?“ Die letzte Frage kam stockend, und ich wußte, er wollte keine bejahende Antwort hören, was ich ihm allerdings etwas übelnahm.
„Nein“, log ich halbherzig, da ich die letzte Nacht tatsächlich nicht geträumt hatte. Er lächelte erleichtert.
„Gut! Hart arbeiten, regelmäßig Sport treiben, wenig essen, und schon verflüchtigen sich die nächtlichen Dämonen. Ich breche in der Morgendämmerung auf und bin irgendwann im kommenden Monat zurück. Wahrscheinlich bringe ich die Frauen mit.“
„Schön. Mögen deine Füße festen Tritt finden, Vater.“ Er hob die Hand, dankte mir für den Reisesegen und kehrte auf nackten Sohlen in sein Arbeitszimmer zurück, während ich mein Zimmer aufsuchte. Ich überlegte, während ich nach
Setau rief und mich für das Badehaus auszog, warum mein Vater zum Beten ganz bis nach Theben reisen wollte, gab es doch in Pi-Ramses mehrere Amun-Schreine, aber vermutlich bot ihm das eine gute Ausrede, um ein paar Geschäftsfreunde aufzusuchen und einige Zeit in Fayum zu verbringen. Und die Schreine hier waren natürlich klein, eher Nischen aus Stein mit dem Abbild des Gottes und einem Altar für Weihrauch und Gaben, ohne Priester, die sich darum kümmerten und die Bitten anhörten. Man betete inmitten einer geschäftigen Menge und Lärm. Als ich dann auf dem Badesockel stand und Setau mir frisches Natron gab, hatte ich meine müßigen Überlegungen vergessen. Es reichte, daß ich das Haus viele Tage lang für mich allein haben würde.
Bei schwindendem Tageslicht näherte ich mich sauber geschrubbt, geölt, parfümiert und in mein bestes weißes Leinen gekleidet dem Pylon des Sehers, seine Rolle in der Hand und den Dolch unter dem Arm. Dabei wollte ich gar nicht anhalten. Viel lieber wollte ich weitergehen, bis ich in Sicherheit war, denn ich wußte, daß die spärlichen abendlichen Schatten schon bald länger werden würden, und wenn ich den Seher verließ, war sein Garten in Dunkelheit gehüllt, doch ich zwang mich, zwischen den viereckigen Steinpfeilern hindurchzugehen. Sofort kam eine Gestalt hinter einem Pfeiler hervor und vertrat mir den Weg. Aus einem uralten Gesicht spähten scharfe und unfreundliche Augen zu mir hoch. Die Stimme, die dann sprach, war schrill, aber erstaunlich kräftig.
„Ach, du bist das“, sagte er verdrießlich. „Kamen, Offizier des Königs. Gib mir das da.“ Eine knotige Hand schoß vor und entriß mir die Rolle. Benommen sah ich zu, wie der alte Mann sie aufrollte und rasch überflog. „Ich habe dich kommen und gehen sehen“, fuhr er fort und blickte auf. „Du arbeitest für Paiis und machst Nesiamuns hochnäsiger Tochter den Hof. Ich wußte, daß du früher oder später am Tor meines Herrn stehen bleiben würdest. Das will jeder. Nur wenige schaffen es so weit.“ Er klatschte mir die Rolle an die Brust. „Geh weiter.“ Die Worte klangen mir in den Ohren, als gehörten sie zu einem feierlichen Ritual, und da verbeugte ich mich wahrhaftig vor dem giftigen Alten, aber ich verbeugte mich vor leerer Luft. Er war bereits in seine Nische zurückgeschlurft.
Bis zur Weggabelung war es nur ein kurzes Stück. Eine Abzweigung verlief nach rechts und schien weiter hinten an einer hohen Mauer zu enden, die durch das dichte Blattwerk vor dem Streifen gestampfter Erde kaum zu sehen war. Ebenso dicht belaubte Bäume, glatte Palmenstämme und ausladende Büsche säumten die Abzweigung, die geradeaus ging. Offensichtlich führte sie zum Haus, und ich schlug sie ein und schritt, um mir Mut zu machen, rasch aus. Kurz darauf überquerte ich eine kleine Lichtung, in deren Mitte ein Springbrunnen Wasser in ein großes Becken plätschern ließ. Steinbänke standen zu beiden Seiten, und dahinter teilte sich der Weg erneut. Ich schlug den linker Hand ein, mußte aber
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