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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Schreibtisch. Die Rollen darauf waren mit militärischer Genauigkeit ausgerichtet. Neben einer schlichten, aber erlesen gefertigten Alabasterlampe, in der ein frisch entzündetes Licht brannte, lag eine Schreiberpalette. Diese Einzelheiten erfaßte ich flink, mein Blick schweifte sehr schnell durchs Zimmer, ehe ich mich vor dem Mann verbeugte, der hinter dem Schreibtisch saß.
    Zumindest nahm ich an, daß es ein Mann war. Er war vollkommen in weißes Leinen vermummt, von der schützenden Kapuze, die sein Gesicht verbarg, bis zu seinen umwickelten Füßen. Die Hände, die gefaltet auf dem Schreibtisch lagen, steckten in Handschuhen. Nirgendwo war ein Fleckchen Haut zu sehen, und während ich mich nach meinem Schreck noch zu fassen versuchte, war ich dennoch froh. Was für Scheußlichkeiten sich auch immer unter all den Binden verbargen, ich wollte sie nicht sehen. Ich konnte zwar nichts von seinem Gesicht erkennen, aber dennoch spürte ich den Blick des Sehers. Meine rasche Musterung war ihm nicht entgangen, denn er lachte in sich hinein - ein trockener, harscher Laut.
    „Findet mein bescheidener Arbeitsplatz deine Billigung, Offizier Kamen?“ fragte er spöttisch. „Entspricht er deinen Erwartungen? Was ich bezweifeln möchte. Die jungen Leute, die mich zu Rate ziehen, scheinen immer enttäuscht zu sein. Sie wollen Dämmer und Geheimnis, flackernde Lampen und eine
    Weihrauchwolke, Zaubersprüche und Geflüster. Ich muß gestehen, daß ich ein ganz und gar unwürdiges Vergnügen an ihrer Enttäuschung habe.“
    Ich wollte mich räuspern, verkniff mir jedoch diese ängstliche Anwandlung. „Dergleichen Erwartungen habe ich nicht, Gebieter“, antwortete ich und staunte, wie fest meine Stimme klang. „Deine Sehergabe verbindet dich mit den Göttern. Was zählen da Äußerlichkeiten?“ Er lehnte sich zurück, und seine makellos weißen Binden raschelten leise.
    „Gut gesagt, Offizier Kamen“, meinte er. „Aufgeweckt und gewissenhaft hat dich mein Bruder Paiis genannt, und zudem bist du noch vorsichtig und taktvoll. Ach? Hast du nicht gewußt, daß Paiis mein Bruder ist? Natürlich nicht. Du bist ein ehrlicher junger Mann und ein guter Soldat und dazu erzogen, deinen Vorgesetzten keine Fragen zu stellen und ohne nachzudenken zu töten. Kannst du töten ohne nachzudenken, junger Kamen? Wie alt bist du?“ Ich spürte seinen Blick. Ich wußte, daß er mich keinen Augenblick aus den Augen gelassen hatte, und die Haare standen mir zu Berge. Schon wieder mußte ich einen heftigen Drang unterdrücken, denn dieses Mal wollte meine Hand zum Nacken fahren.
    „Ich bin sechzehn“, antwortete ich. „Ob ich töten kann, weiß ich nicht, denn bislang ist es noch nicht erforderlich gewesen. Und ich bemühe mich nach besten Kräften, ein guter Soldat zu sein.“ Sein überheblicher Ton gefiel mir nicht, und etwas in meiner Stimme oder Haltung mußte mich verraten haben. Er verschränkte die Arme.
    „Trotzdem keimt die winzige Saat der Meuterei in dir, wartet nur auf eine Beleidigung oder eine Ungerechtigkeit, und schon sprießt sie“, meinte er. „Ich spüre es. Du bist nicht der Mensch, für den du dich hältst, Kamen. Ganz und gar nicht. Du interessierst mich, wie du da so vollkommen ernst und insgeheim beleidigt vor mir stehst. Eher wird es in der Unterwelt hell, als daß du einen Schritt zurückweichst, obwohl du den Eindruck höflicher Fügsamkeit erweckst. Paiis hat gesagt, ich würde dich unterhaltsam finden. Was willst du von mir?“ „Gebieter, woher hat der General gewußt, daß ich dich um Rat bitten wollte?“ fragte ich. Unter der Maske rührte sich etwas. Er lächelte.
    „Das habe ich ihm natürlich erzählt. Er speist oft bei mir, und wir reden über viele Dinge, und wenn es keine fesselnderen Themen gibt, auch über unser eigenes Leben. Ich habe mir gedacht, er möchte gern wissen, daß einer seiner Wachoffiziere mich aufsuchen will.“ Er bewegte sich. „Würdest du mich gern sehen wollen, Kamen?“ Jetzt bekam ich es mit der Angst zu tun.
    „Du spielst doch nur mit mir“, sagte ich. „Wenn es dir beliebt, dich mir zu zeigen, es wäre mir eine Ehre. Wenn nicht, so bin ich es auch zufrieden.“ Jetzt lachte er schallend, doch hinter seiner Maske klang es erstickt.
    „Du bist zum Höfling geboren“, erklärte er. „Und du hast recht, ich spiele mit dir. Entschuldige. Ich wiederhole jetzt. Was willst du von mir? Du kannst dich setzen.“ Eine weiß behandschuhte Hand deutete auf einen Stuhl vor dem

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