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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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zurück, wrang sich mit beiden Händen das Haar aus und verspritzte dabei kaum sichtbare Tropfen. Mit einer fließenden Bewegung öffnete er die Tür, und einen kurzen Augenblick lang wirkte er irgendwie nicht menschlich, sondern geschmeidig und ungezähmt wie ein wildes Tier; dann schlüpfte er hinein, und das Trugbild platzte. Vermutlich hatte auch er sich den Schweiß und Dreck des Tages abgewaschen, doch der Gedanke machte ihn mir nicht angenehmer.
    Er hielt sich während der nicht enden wollenden Stunden des Tages auch weiterhin verborgen, während ich unter dem Sonnensegel saß oder lag und zwischen uns nichts war als eine dünne Holzwand. Doch auf unserer Fahrt gen Süden wurde ich mir zunehmend seiner Gegenwart bewußt, und das mit unguten Gefühlen. Mir war, als sickerte seine mächtige und geheimnisvolle Aura durch die Kabinenwände, und ich nahm sie auf, sie ergriff Besitz von meinem Kopf und verstärkte die unbestimmte Angst, mit der ich zu kämpfen hatte und die sich schließlich in körperlicher Unrast ausdrückte. Gelegentlich räusperte er sich oder ging in der Kabine auf und ab, doch selbst die Geräusche, die er machte, wirkten geheimnisvoll. Gern hätte ich das Sonnensegel abnehmen und am Bug anbringen lassen, doch diesen Platz hatte sich der Rest der Mannschaft bereits angeeignet, und außerdem hätte ich damit eingestanden, daß meine unguten Gefühle rasch zu wenig schmeichelhafter Furcht wurden. Wenn er nur einmal ans Tageslicht gekommen wäre, wenn er an die Wand geklopft und nur ein Wort mit mir gewechselt hätte, wahrscheinlich wäre der schlechte Eindruck verflogen. Doch er ließ sich nicht blicken, während die Tage dahinflossen, und tauchte nur kurz und verstohlen auf, um im Nil zu baden, wenn ihn die Dunkelheit schützte.
    Mein Schlaf wurde immer leichter. Zuweilen wachte ich schon auf, ehe ihn das leise Knarren verriet, und beobachtete angespannt und mit halb geschlossenen Lidern, wie er sich nackt über die Bordkante stahl und sich bewundernswert mühelos ins Wasser gleiten ließ. Ich war auch muskulös und gut in Form, aber er, der schätzungsweise mindestens doppelt so alt war wie ich, bewegte sich so beherrscht und geschmeidig, wie es nur jahrelange körperliche Ertüchtigung bewirkt. Erneut fragte ich mich, wo Paiis ihn aufgetrieben hatte und warum er dieses Prachtexemplar mit einem so langweiligen Routineauftrag wie der Verhaftung einer Bäuerin betraute. Wahrscheinlich gehörte er zu irgendeinem Wüstenstamm. Die Medjai, die Wüstenpolizei, rekrutierte sich seit vielen Hentis aus Völkern, die mit ihren Schaf- und Viehherden in die sandigen Einöden eingedrungen waren, denn nicht einmal Ägypter hielten die langen, anstrengenden Monate durch, die man brauchte, wenn man unsere öde Westgrenze zu den Libyern abpatrouillieren wollte. Doch dieser Mann stammte vermutlich nicht aus den Reihen der Medjai, oder falls doch, so war er noch nicht lange Zeit angeworben. Die Wildheit der Wüste haftete ihm noch immer an.
    Ich grübelte einige Zeit darüber nach, rief mir die Worte des Generals ins Gedächtnis, als er mir diesen Auftrag erteilt hatte, und meine eigenen Fragen dazu, und dabei wurde mir zur Gewißheit, daß irgend etwas nicht stimmte. Schließlich war Paiis nicht General geworden, weil er ein so guter Liebhaber war. Er dachte klar, sachlich und vernünftig. Er wußte genauso gut wie ich, der jüngere Offizier, daß die Festnahme und Einsperrung dieser Frau nur einen schriftlichen Befehl an den Dorfschulzen erforderte, denn der war bestens geeignet, sie unter Bewachung in die nächste Stadt zu bringen. Dennoch lag ich mitten in der Nacht schlaflos auf meinem Strohsack, hatte eine Mannschaft und Vorräte und war auf dem Weg nach Aswat, als ob sie eine Schwerverbrecherin wäre. Und dann der Mann in der Kabine. Der war nicht der Schulze ihres Dorfes. Der war kein Herold. Der diente nicht einmal als Soldat in irgendeiner ägyptischen Division. Was war er dann? Vor dieser Frage scheuten meine Gedanken zurück.
    Doch in der siebten Nacht, nachdem er wieder über das Deck und über die Bordkante geglitten war, stand ich auf, duckte mich vorsichtshalber, damit er mich nicht über der Reling erblickte, und kroch zur Kabine. Er hatte die Tür offengelassen, also brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, daß sie möglicherweise knarrte und mich verriet. Auf Händen und Füßen schlüpfte ich hinein. Drinnen war es fast vollständig dunkel und sehr stickig, und es roch beißend nach

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