Die Herrin Thu
richtig leid, aber ich unterdrückte das Lächeln, das mir schon auf den Lippen lag. Sie war noch immer so scheu wie eine in die Enge getriebene Gazelle. Ich hatte mich schon zu weit vorgewagt, an Rückzug war nicht mehr zu denken.
Etwas bänglich begann ich mit meiner Geschichte. Falls ich ihre Miene nicht richtig gelesen hatte, steckte ich den Kopf in Paiis’ Schlinge, doch ich war Schreiber und geschult darin, das zu deuten, was nicht immer ausgesprochen wurde, und ich hatte mich nicht in Takhuru getäuscht. Bei meinen ersten Worten wurden ihre Augen ganz groß und hingen an meinem Gesicht.
Ich brauchte lange. Ich erzählte vom Leben in Huis Haus, von Thu, dem jungen, wißbegierigen Mädchen, das nach Anerkennung gierte und sich verzweifelt bemühte, seine bäuerliche Herkunft abzustreifen. Ich erzählte von ihrer Ausbildung zur Heilkundigen und von der heimlichen Erziehung, die sich wie ein unterirdischer Fluß durch all unsere Handlungen zog. Ich erzählte von ihrer Einführung beim Pharao und ihrem Aufbruch in den Harem als lebendes Todeswerkzeug, das Hui in der Hand hielt. Ausführlich beschrieb ich, wie Thu einen Sohn gebar und in Ungnade fiel und wie sie in ihrer Verzweiflung zu Hui gekommen war und wie Hui ihr das Arsen gegeben hatte, das sie unter das Massageöl mischte und es Ramses’ damaliger Lieblingsfrau Hentmira gab, und wie Hentmira gestorben war, der Pharao jedoch genas und Thu zum Tode verurteilte, nachdem sein Sohn Ramses das Verbrechen untersucht hatte, und wie die Strafe dann in Verbannung umgewandelt wurde.
Bis zu dieser Stelle lauschte Takhuru, ohne mich zu unterbrechen. Dann hob sie die Hand. „Das muß ich erst verstehen, Kaha“, sagte sie leise. „Du sagst also, daß du im Haus des Sehers gelebt und Thu unterrichtet hast. Darüber hinaus hast du dich an der Verschwörung gegen Ramses beteiligt. Als Thu verhaftet wurde, da hättest du doch für sie aussagen können, das hätte sie gerettet, aber das hast du nicht getan. Warum kommst du nun zu mir?“ Ich mußte ihre Selbstbeherrschung bewundern. Sie war fest entschlossen, nichts preiszugeben. Ihre Hände lagen gefaltet im Schoß, doch jetzt legte sie langsam einen Fuß über den anderen und verriet ihre Verwirrung.
Ich wußte um ihren Argwohn, wußte um ihren festen Entschluß, Kamen um jeden Preis zu schützen, doch die Zeit lief uns davon, und wenn sie nicht mithalf, konnte ich nichts ausrichten. „Meine Liebe war nur Lippenbekenntnis“, sagte ich. „Liebe ist ein Wort, mit dem ich in jüngeren Jahren um mich geworfen habe. Ich habe Ägypten geliebt, die Maat geliebt, die geheiligten Hieroglyphen geliebt, die uns von Thot geschenkt wurden, und ich habe Thus Klugheit und Scharfsinn geliebt. Jedoch, Herrin Takhuru, als diese vielen Lieben geprüft wurden, bin ich davongelaufen. Die Liebe zu mir selbst hat überwogen. Bis gestern Abend habe ich nicht gewußt, welche Schmach ich mit mir herumtrage.“
„Und was ist gestern Abend geschehen?“
„Ich bin in das Haus des Sehers gegangen und habe mich mit ihm und dem General und der Herrin Hunro getroffen.
Dort hat man beschlossen, Thu und Kamen umzubringen, ehe Thu ihren Fall dem Pharao vortragen kann. Für die Verschwörer hat sich nichts geändert. Sie sind genauso habgierig und gewissenlos wie eh und je. Aber Kamen ist mir ans Herz gewachsen, seit ich in den Dienst seines Vaters getreten bin, und Thu ist für mich wie eine Schwester gewesen. Ich kann sie nicht sterben lassen. Ich muß meine frühere Feigheit gutmachen.“
„Der General hat rasch gehandelt“, bemerkte sie, doch ihre Stimme klang nicht mehr so mißtrauisch.
„Ja. Und er ist nicht dumm. Er ist zu dem Schluß gekommen, daß Thu und Kamen nur hier sein können. Falls er sie heute bei der öffentlichen Durchsuchung nicht findet, wird er nachts Mörder schicken, die stehlen sich dann ein und suchen heimlich. Viel länger kannst du sie nicht verstecken.“
„Er hat es schon einmal versucht. In Aswat.“
„Ja. Und er gibt nicht auf.“
Eine geraume Weile blickte sie mich nachdenklich an, biß sich auf die Lippen und ließ sich dann vom Stuhl gleiten. „Ich habe Thus Lebensgeschichte gelesen“, sagte sie schließlich. „Du bestätigst, was ich bereits weiß. Komm mit.“
Sie führte mich den Gang zurück, durch die Eingangshalle und dann die hintere Treppe hoch. Dort gab es einen weiteren Gang, und dann stieß sie eine große Flügeltür auf. Auf ihre schroffe Anweisung hin machte ich sie hinter mir zu
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