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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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näherte sich dem gewundenen Pfad. Gawen wartete im Schatten, bis die Priester nicht mehr zu sehen waren, und lief dann hinunter zum Ufer. Die Fee hatte ihm gesagt, er solle dort auf sie warten. Seit seiner Ankunft hatte er jeden Tag am Wasser gesessen. Inzwischen zweifelte er allmählich daran, daß sie ihr Versprechen halten würde, aber es gefiel ihm, bereits vor Sonnenaufgang draußen im Freien zu sein.
    Am Fuß des steilen Abhangs nahmen die Gebäude im rosigen Licht des Morgens die vertrauten Umrisse an. Die große, nach römischer Art gebaute Halle überragte die niedrigeren Schilfdächer der Rundhäuser. Auf der anderen Seite des Hügels sah er das große Haus der Priesterinnen und ein kleineres für die Novizinnen. Das Haus der Hohepriesterin stand etwas abseits von den anderen. Er wußte, etwas tiefer gab es das Kochhaus, die Webschuppen und einen Stall für die Ziegen. Am Fuß des Hügels befand sich die heilige Quelle und am anderen Ende der Weiden die bienenkorbähnlichen Hütten der Christen um den Dornbusch, der aus Vater Josephs Stab gewachsen war. Gawen war jedoch noch nicht bei den Mönchen gewesen.
    Die Priesterinnen hatten ihm aufgetragen, die Milchziegen zu versorgen. Bei seinem römischen Großvater hätte er kein Hütejunge sein müssen, aber hier bei den Priesterinnen mußte er die Pflichten eines Sklaven übernehmen. Bald würde er bei ihnen in der Halle sein Frühstück bekommen. Das Blöken der Ziegen rief ihn immer schnell zu seinen Pflichten, denn die Tiere wollten so früh wie möglich auf die Weide. Nur jetzt vor Tagesanbruch hatte er Zeit, mit sich allein zu sein.
    Wieder einmal dachte er an die Worte der Fee: ›Sohn der hundert Könige ... ‹
    Was mochte sie damit meinen? Warum ausgerechnet er? Niemand konnte ihm diese Fragen beantworten, und seit der seltsamen Begrüßung waren schon viele Tage vergangen. Wann würde sie wieder erscheinen?
    Er saß am Ufer und starrte gedankenverloren auf das graue Wasser, das unter dem blassen Herbsthimmel langsam silbern wurde. Es war kühl, aber er fror nicht. Brannos hatte ihm einen Umhang aus Schaffell gegeben. Alles war ruhig; trotzdem herrschte keine völlige Stille. Er lauschte auf das Flüstern des Windes und das Klatschen der Wellen im Schilf.
    Verzückt schloß er die Augen, um alle diese Geräusche noch besser wahrzunehmen, die die Natur hervorbrachte, und stellte staunend fest, daß es ein Gesang war, die schönste Musik, die er sich vorstellen konnte. Bald wußte er nicht mehr, ob der Gesang aus der Welt kam, in der er sich befand, oder ob etwas in ihm zu singen begonnen hatte. Er überließ sich glücklich dieser wundersamen Melodie, und schließlich zog er, ohne die Augen zu öffnen, aus seiner Tasche die Weidenflöte, die ihm Brannos geschenkt hatte, und begann zu spielen.
    Die ersten Töne klangen wie ein schrilles Quieken, und er hätte die Flöte am liebsten ins Wasser geworfen. Aber er beherrschte sich, holte tief Luft und versuchte es noch einmal. Als er zu der inneren Stille zurückfand, vernahm er die wundersame Melodie von neuem. Behutsam drückte er die Finger auf die Löcher der Flöte und begann, die Töne mit dem Atem zu formen. Je mehr sie seiner inneren Vorstellung entsprachen, desto mehr entspannte er sich und fand Gefallen an der Melodie, die aus ihm kam.
    Im Bann der zarten Töne bemerkte er das Erscheinen der Fee nicht sofort. Aus dem schimmernden Licht über dem Wasser tauchte ein Schatten auf, der allmählich eine Form annahm und wie von Zauberhand bewegt über die Wellen glitt. Je näher er dem Ufer kam, desto deutlicher sah Gawen die Umrisse eines flachen Boots, an dessen Bug die Fee stand und die Stange in ihrer Hand hielt.
    Das Boot glich der Fähre, mit der sie von dem Mann des kleinen Volkes übergesetzt worden waren. Es schien jedoch kleiner und wendiger zu sein. Unter den geschickten Bewegungen der Fee glitt es scheinbar mühelos über das Wasser. Gawen nutzte den Augenblick und betrachtete die Fee aufmerksam. Die schlanken Arme waren trotz der Kälte bis zu den Schultern unbedeckt. Die dunklen Haare hatte sie aus der Stirn gekämmt. Ihre Haut war glatt und faltenlos, sie hatte schwarze und sanft geschwungene Augenbrauen. Die dunklen Augen richteten sich lächelnd auf ihn. Zu ihren Füßen saß ein Mädchen. Es hatte helle rosa Wangen und blonde lockige Haare, die im morgendlichen Licht kupfern schimmerten. Wie die Haare der Novizinnen waren sie zu einem langen Zopf geflochten. Das Mädchen lachte kurz

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