Die Herrin von Avalon
umschloß. »Komm, wir suchen trockenes Gras, abgefallene Blätter und anderes, was gut brennt. Zum Beispiel dünne trockene Zweige und morsches Holz. Siehst du ... « Sie ließ seine Hand los und griff nach ein paar Zweigen. Zusammen machten sie sich auf die Suche und schichteten Zweige und Blätter neben eine schwarze Mulde im feuchten Boden. Etwas größere Holzstücke lagen bereits in der Nähe. Diese Feuerstelle war offenbar schon benutzt worden.
Schließlich hatten sie genug zusammengetragen, und die Fee zeigte ihm, wie man mit Feuerstein und Stahl, den sie in einem Lederbeutel am Gürtel trug, Funken schlug. Bald züngelten die ersten Flämmchen, die schnell größer wurden, als die Fee Zweige darüber legte. Nachdem das Feuer brannte, holte sie vom Boot einen Sack und zog daraus einen toten Hasen hervor. Mit einem kleinen Steinmesser enthäutete sie das Tier, entfernte die Innereien, spießte das Fleisch auf grüne Zweige und briet es über der Glut. Als der Bratensaft ins Feuer tropfte und die Flammen zischten, knurrte Gawen der Magen. Der appetitliche Geruch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihm wurde plötzlich bewußt, daß er kein Frühstück gehabt hatte.
Sobald das Fleisch gebraten war, zerlegte die Fee es mit dem Messer und reichte den Kindern mundgerechte Portionen. Sie selbst aß nichts. Gawen hatte den Eindruck, noch nie etwas so Köstliches gegessen zu haben wie dieses Fleisch, das über dem offenen Feuer am Ufer gebraten worden war. Nach der Mahlzeit vergruben sie die Knochen und das Fell in der Nähe.
»Vielen Dank für das Essen«, sagte Gawen satt und zufrieden. »Aber ich weiß noch immer nicht, was du mit mir vorhast. Willst du es mir nicht sagen?«
Die Fee überlegte und antwortete dann: »Du glaubst zu wissen, wer du bist, aber im Grunde weißt du es nicht. Ich habe versprochen, dir zu helfen. Die Herrin von Avalon ist damit einverstanden, wenn du in der nächsten Zeit öfter mit mir und Sianna zusammen bist. Du kannst vieles bei mir lernen, was du in deinem Leben brauchst. Wenn du auf meinen Rat hörst, wirst du in der Lage sein, deine Bestimmung zu finden.« Sie lächelte und forderte die Kinder auf, ihr ins Boot zu folgen.
Aber was ist mit den hundert Königen?
Er schwieg, denn er wußte, daß sie auch diesmal die eine Frage nicht beantworten würde, die ihn am meisten beschäftigte.
Sie fuhren über einen breiten Wasserweg, der den Sumpf wie ein Messer durchschnitt. Die Fee schob das Boot im seichten Wasser scheinbar mühelos mit der Stange vorwärts. Sie näherten sich einer großen, etwas abseits gelegenen Insel, die nur durch einen schmalen Kanal von dem höher gelegenen Landstrich im Westen getrennt war.
Sie banden das Boot an einem Baum am Ufer fest. »Bewegt euch vorsichtig und macht keine Geräusche«, sagte die Fee leise und ging vor ihnen her.
Sie kamen in einen Wald. Selbst jetzt, am Anfang des Winters, wo das Laub zu fallen begann, war es nicht einfach, sich einen Weg zwischen den Stämmen durch das dichte Unterholz zu bahnen. Bei jedem unvorsichtigen Schritt knackten trockene Zweige unter Gawens Füßen. Er war so davon in Anspruch genommen, keinen unnötigen Lärm zu machen, daß er völlig vergaß zu fragen, wohin sie gingen. Die Fee bewegte sich lautlos, und Sianna schien es nicht schwer zu fallen, ihrer Mutter ebenso unhörbar zu folgen. Im Vergleich zu ihnen kam sich Gawen so ungeschickt wie ein Ochse vor.
Als die Fee plötzlich die Hand hob, blieb er erleichtert stehen. Sie schob behutsam die Zweige eines Haselnußstrauchs beiseite. Vor ihnen lag eine kleine Lichtung, auf der Rotwild das braune, dürre Gras äste.
»Beobachte die Hirsche ganz genau, Gawen. Du mußt lernen, wie sie leben«, flüsterte sie ihm zu. »Im Sommer würdest du sie hier nicht finden. Dann ruhen sie während der heißen Tage im dichten Schatten der Bäume und kommen erst in der Dämmerung hervor. Aber jetzt wissen sie, daß sie soviel wie möglich fressen müssen, bevor der Winter hereinbricht. Ein Jäger macht sich zuerst mit dem Wild vertraut, dessen Fährte er folgt.«
Gawen fragte leise: »Soll ich also ein Jäger werden, Herrin?«
Sie schwieg eine Weile, ehe sie ihm antwortete.
»Es kommt nicht darauf an, was du tun sollst.« Sie lächelte und fügte ebenso leise hinzu: »Das wirst du selbst entscheiden, wenn du alt genug dazu bist.«
Zum ersten Mal hatte jemand Gawen gesagt, daß er bei der Gestaltung seiner Zukunft ein Wort mitzureden hatte. Von diesem
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