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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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In der Nacht fiel sie in einen Wachtraum. Sie hatte das Gefühl den Körper zu verlassen und über die Grenzen von Avalon hinweg zu gelangen. In diesem Zustand sah sie die Adern der Kraft als Lichtbahnen, die einen Punkt mit dem nächsten Punkt verbanden. Ihre Seele folgte diesen Wegen so schnell wie ein Gedanke. Sie spürte, wo die Kraft stark pulsierte und wo sie nur schwach war. Sie sah auch, wo die Kraft über das Wasser zog und nicht zurückkehrte.
    Bei Tagesanbruch schlief sie ein, wachte aber nach ein paar Stunden wieder auf. Die Frau des kleinen Volkes, die sie versorgte, hatte einen Korb mit den besonderen Pilzen gebracht, die in den Sümpfen wuchsen. Dierna lächelte. Sie reinigte die Pilze sorgfältig, schnitt sie in Scheiben und gab sie mit anderen Kräutern, die sie mitgebracht hatte, in einen kleinen Kessel, den sie über die Feuerstelle hängte und mit Wasser füllte. Sie legte Holz nach, so daß die Flüssigkeit zu kochen begann. Sie würde den Rest des Nachmittags über der Glut simmern. Dierna beugte sich über den Kessel und begann, beim Rühren zu singen.
    Die Vorbereitungen waren bereits ein Ritual für sich. Schon bevor sie die Flüssigkeit trank, hatten die Dämpfe ihre Wahrnehmung verändert. Dierna schüttete den Inhalt des Kessels schließlich durch ein Sieb und goß den Trank in einen Silberbecher. Dann ging sie damit nach draußen.
    Die Hütte, in die sie sich zurückgezogen hatte, lag im Schutz einer Dornenhecke. Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf die glänzenden Blätter der undurchdringlichen Ranken. Der Mond, der in drei Tagen voll sein würde, stand bereits im Osten am Himmel. Das helle Oval leuchtete. Vögel flogen vor Einbruch der Nacht über den goldenen Himmel. Vor der Hütte wuchsen Moos und Büschel langer feiner Grashalme. In der Mitte stand ein Altarstein.
    Dierna wandte sich dem Mond zu und hob den Becher zum Gruß.
    »DIR, o Herrin über Leben und Tod, bringe ich diesen Trank dar, doch ich selbst bin das Opfer. Wenn mein Tod vonnöten ist, dann begebe ich mich in DEINE Hand. Wenn es DEIN Wille ist, schenke mir DEINEN Segen und laß mich das sehen, was ist und was sein muß. Schenke mir die Weisheit, es zu verstehen ...
    Die Ungewißheit hinsichtlich der Wirkung ließ sich nie vermeiden. Wie bei allen Kräutersäften war der Unterschied zwischen einer wirkungsvollen und einer tödlichen Dosis immer sehr gering. Die Wirkung hing unter anderem von der Beschaffenheit der Pilze ab, aus denen der Trank gemacht war, und von der Gesundheit dessen, der ihn trank. Vor allem aber, so hatte sie es gelernt, vom Willen der Göttin.
    Dierna zögerte kaum, bevor sie den Becher an die Lippen setzte und ihn austrank. Sie verzog das Gesicht, weil das Getränk bitter schmeckte, und stellte den leeren Silberbecher auf den Boden. Dann hüllte sie sich in den hellen, ungefärbten Wollumhang und legte sich auf den langen grauen Altarstein.
    Beim Einsetzen der Wirkung hatte Dierna wie jedesmal das Gefühl, sie müsse sich übergeben. Dann wäre alle Mühe der Vorbereitung umsonst gewesen. Mit eiserner Disziplin holte sie langsam tief Luft und atmete ebenso langsam wieder aus. Dabei begann sie zu zählen und entspannte Abschnitt um Abschnitt willentlich ihren Körper, bis sie das Gefühl hatte, mit dem kalten Stein zu verschmelzen. Über ihr verblaßte das leuchtende Violett des Himmels zu Grau. Sie blickte nach oben, und zwischen einem Wimpernschlag und dem nächsten entdeckte sie den ersten funkelnden Stern.
    Plötzlich schien eine Welle des Lichts über den Himmel zu ziehen. Sie glaubte, keine Luft zu bekommen, doch sie zwang sich sofort, tief und ruhig zu atmen. Dank jahrelanger Übung konnte sie den Drang, aufzuspringen und zu fliehen, unterdrücken, denn das wäre ihr Verderben gewesen. Sie hatte erlebt, wie eine junge Priesterin wahnsinnig wurde, weil sie nicht die Willenskraft besaß, sich dem Aufruhr der Gefühle zu überlassen, die ihren Körper erfaßten.
    Das Sternenlicht pulsierte in allen Farben des Regenbogens. Sie glaubte zu fallen, als sich der Himmel plötzlich um sich selbst zu drehen schien. Mit dem nächsten Atemzug richtete sie ihr Bewußtsein nach innen, auf den Punkt des Lichts inmitten ihres Kopfes. Das Universum drehte sich um sie im Spektrum aller Farben, die das Licht hervorbringen kann, aber das beobachtende ›Ich‹ blieb unbeeindruckt von dem grandiosen Schauspiel. Unheimliche Gestalten lauerten in den Schatten. Die Hohepriesterin vertrieb sie energisch

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