Die Herrin von Sainte Claire
Mauern von Ste. Claire hatte schwingen sehen.
»Deine Schafe sind wahrscheinlich schon alle abgeschlachtet, mein Alter«, wandte er sich eben zu Toby. In seiner tiefen Stimme schwang ein schneidender Unterton mit, der sie erschauern ließ. »Aber wir holen dir so viele wie möglich zurück. Und der kleine Bursche wird gerächt.«
Toby blickte störrisch drein. »Dank Euch, Herr. Aber wir brauchen Euer Schwert hier nicht, wie ich schon sagte. Unsere treue und brave Herrin wird diesen Hunden schon nachstellen.«
Alaine knirschte mit den Zähnen. Toby, du Esel! So habe ich es nicht gemeint, als ich euch um Hilfe bat!
Drache schnaubte verächtlich. »Ich bin der rechtmäßige Herr.« Sir Roriks Stimme klang noch unheimlicher durch den plötzlichen milden Ton. »Deine Herrin, wie du sie nennst, wird nicht die Zeit haben, euch vor Geächteten zu schützen, denn sie wird selbst bald als eine Vogelfreie gejagt werden. Im übrigen«, fuhr Drache fort, »würde es mich nicht wundern, wenn dieser Range und ihr Gefolge deine Herde überfallen und deinen Sohn getötet hätten.« Die finsteren Augen des Ritters suchten nach dem Vater des toten Knaben, der betreten zu Boden blickte.
»Nein, mein Herr«, antwortete ihm der Mann leise. »Unsere Herrin Alaine würde uns das niemals antun.«
»Mag sein«, räumte Drache mit düsterer Miene ein. »Aber deine Herrin ist eine gewöhnliche Geächtete, die gegen ihren rechtmäßigen Herrn rebelliert. Zählt nicht mit ihrer Hilfe. Sie wird sich bald selbst nicht mehr helfen können.«
Die Schar der Dorfbewohner begann sich gerade zu zerstreuen, als ein Ritter, noch größer als Sir Rorik, in vollem Galopp heranpreschte. Er brachte sein mächtiges Roß knapp vor der Tür von Alaines Versteck ruckartig zum Stehen.
»Man hat Männer im Norden gesichtet«, eröffnete der große Ritter seinem Anführer. Trotz der Bedeckung von Helmkappe und Helm konnte sie sein Barbarenlächeln erkennen. »Und sie sehen wie ein übler Haufen aus.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog sich Drache Kappe und Helm über, lockerte sein Schwert in der Scheide und raste im Galopp den Pfad hinunter, seine Männer hinterdrein. Alaines Herz sank. Sie hoffte inständig, es handelte sich bei dieser Bande tatsächlich um die Geächteten und nicht um Garin und ihre Mannen.
Toby steckte seinen Kopf durch die Hütte, sein Mund öffnete sich zu einem zahnlosen Grinsen. »Sie haben sich auf- und davongemacht, Mylady. Ihr könnt jetzt rauskommen.«
Alaine trat aus der Hütte und zog ihr Reitpferd hinter sich her. »Schlauer Bursche, dieser Sir Rorik«, bemerkte Toby und zwirbelte gedankenverloren seine Stirnlocke. »Aber wir haben ihn hinters Licht geführt, jawohl!«
»Schlau«, wiederholte der kleine Mann. »Und hart ist er auch. Der Sohn meines Bruders sagt, ein Küchenjunge von der Burg hätte ihm gesagt, daß seine Männer ihn Steinernen Drache heißen.«
»Das paßt zu ihm«, mischte sich eine Frau ins Gespräch. »Er sieht wie so ein riesiges Tier aus Stein aus, und wenn er dich mit seinen glitzergrünen Augen ansieht, glaubt man fast, ein Drache verbirgt sich unter all dem Fleisch und den Muskeln.«
Alaine wollte nichts mehr davon hören. Nur zu gut erinnerte sie sich an den Gesichtsausdruck Sir Roriks bei seinem Schwur, sie wie eine Geächtete zu jagen. Ihr Magen zog sich in unsäglicher Angst zusammen. Sie bemühte sich, die schrecklichen Bilder aus ihren Gedanken zu verbannen.
»Ich muß fort.« Sie schwang sich auf den Rücken ihres Pferdes und rückte das bemitleidenswert klein aussehende Schwert zurecht, das auf ihrem Schenkel ruhte. »Toby und euch allen – ich bedanke mich für eure Hilfe. Und dir auch, Ruth.« Sie lehnte sich herab und umklammerte den Arm der alten Frau.
Die Alte drückte aufmunternd ihre Hand. »Paßt auf Euch auf, mein kleines Fräulein. Laßt Euch nicht von diesem Unhold ängstigen.«
Auf ihrem Ritt zurück ins Lager holte Alaine Garin und ihre Gefolgschaft nicht mehr ein. Ihr sank der Mut von Minute zu Minute, je mehr ihre Überzeugung wuchs, bei der Bande, die Drache verfolgte, handelte es sich um ihre glücklosen Männer. Garin und ihre Mannen könnten sich niemals gegen Drache und seinen Kriegern bewähren. Neben Sir Rorik mit den harten Augen und den breiten Schultern wirkte Garin wie ein Knabe, und sein Freund, der Riese, weckte Erinnerungen an einen archaischen, blutrünstigen Gott, der auf die Erde gekommen war, um die Menschen zu vernichten.
Sie ritt ins Lager.
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