Die Herrin von Sainte Claire
hätte ich Euch nicht schon als dünnen, kleinen Wurm verarztet und verbunden.«
»Das ist kein Grund, so rauh mit mir umzugehen! Und ich bin nicht in der Stimmung, mir deine Schimpftiraden anzuhören!«
»Rauh sagt Ihr?« Die alte Amme war ganz entrüstet. »Ich fasse Euch mit Samthandschuhen an, und Ihr wimmert und schreit wie ein Wickelkind. Der Bergfried war kaum erobert, da mußte ich Sir Rorik verbinden. Er hatte eine böse Wunde am Schenkel, die man mit dem Messer aufschneiden mußte. Der hat nicht so Zeter und Mordio geschrien. Keinen Mucks hat er von sich gegeben. Und er hat sich anständig bei mir bedankt, wie ein echter Ritter.«
»Du hättest seine Wunde eitern lassen sollen«, entgegnete darauf Alaine mit verächtlich gekräuselten Lippen.
Hadwisa schüttelte ihr graues Haupt. »Gütiger Heiland, seid Ihr aber in schlechter Laune. Seht zu, daß Eure Stimmung sich bessert, ehe Euch Lady Joanna die Leviten liest. Sie war in den letzten Wochen in großer Sorge um Euch. Sie wird keine Geduld mit Euerem Gejammer haben.«
»Auch ich habe Joanna einiges zu sagen! Und Sir Oliver! Was haben sich die beiden eigentlich gedacht, hinter meinem Rücken Ste. Claire aufzugeben, ehe ich von Brix zurückgekehrt war? Ich werde von diesem Emporkömmling und Usurpator wie eine Gefangene hereingeschleift und meine Stiefmutter hält es nicht einmal für nötig, mich zu begrüßen oder ein gutes Wort für mich einzulegen. Wo ist Lady Joanna überhaupt?«
Die Antwort kam aus einer völlig unerwarteten Richtung. »Eure Stiefmutter hat mich ständig mit Bitten bestürmt, Euch zu besuchen. Und sie hat mir dauernd mit Entschuldigungen für Euer Verhalten in den Ohren gelegen.«
Das Herz hüpfte ihr bis zum Hals beim Klang der tiefen Stimme. Wie lange stand wohl schon der Drache im Türbogen zu ihrer Kammer? Und wie konnte sich ein so großer Mann so lautlos bewegen?
Hastig zog sie das Bettuch über ihre nackten Beine. »Wie könnt Ihr es wagen, Euch wie ein Dieb anzuschleichen, wenn wir ein persönliches Gespräch führen?«
Roriks Mundwinkel verzogen sich spöttisch. »Der persönliche Bereich eines Rebellen, Verräters und Geächteten ist sehr eingeschränkt – eine traurige Tatsache, die Ihr wohl besser beizeiten anerkennen solltet.«
»Verräter? Rebell?« ereiferte sich Alaine. Die Zielscheibe ihres Zornes blieb jedoch ungerührt.
»Wie geht es dem Fuß der Gefangenen, Hadwisa?«
Das alte Kindermädchen sah ängstlich in das regungslose Gesicht des Ritters. »Das Fußgelenk ist nicht gebrochen, mein Herr. Aber sie hat es sich ordentlich verstaucht. Es braucht eine kleine Weile, bis es verheilt.«
»Gut«, er deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.
Hadwisa warf Alaine einen warnenden Blick zu, dann nahm sie ihren Breiumschlag an sich und huschte hinaus.
»Nun, kleine Rebellin. Ihr werdet also bald wieder gesund.« Immer noch lehnte er gegen den Türbogen, groß, dunkelhaarig, mit stolzer Haltung. Seine Schultern füllten beinahe den Türrahmen aus. Sein Anblick rief in ihr wieder die schmerzliche Demütigung ihrer Gefangennahme im Walde wach, als sie mit ihrer schmählichen Verletzung hilflos am Boden lag, nicht in der Lage, das Schwert zu ihrer Verteidigung zu ziehen. »Ich bin weder eine Rebellin noch eine Verräterin, Sir«, schleuderte sie ihm entgegen. »Und eine Geächtete bin ich nur laut Eurer Auslegung.« Diese Worte gaben ihr Kraft, sie reckte das Kinn in die Höhe. »Meiner Meinung nach sind ich und die Männer, die mir gefolgt sind, die Verteidiger unseres rechtmäßigen Lehen. Und Ihr seid der Geächtete, der Usurpator und der Verräter, denn Ihr seid es, der in meine Ländereien eingedrungen ist.«
Er lächelte böse. »Wie die meisten Frauen, verdreht Ihr die Tatsachen, wie es Euch gerade paßt.«
»Die Tatsachen verdrehen?« Ihre Empörung gewann Oberhand über ihre Angst. Alaine kämpfte gegen ihren aufwallenden Jähzorn an, der sie zu übermannen drohte. Sie schlug mit beiden Fäusten auf die Matratze. »Um meine Handlungen zu rechtfertigen, habe ich es nicht nötig, die Tatsachen zu verdrehen!«
»Ist dem so?«
»Ja, dem ist so! Und Ihr! Ihr stolziert herum und behauptet, der Herr von Ste. Claire zu sein! Verkündet meinen Dorfleuten, daß ich eine räuberische Gesetzesbrecherin bin und Ihr der rechtmäßige Herr!« Ihre Stimme wurde fester. »Nur der Niedrigste der Niedrigen würde seinen Vorteil aus einem herrenlosen Lehnsgut ziehen – wie ein streunender Köter, der nach einem saftigen
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