Die Herrin von Sainte Claire
nicht erzählt, wer ich bin und warum Eure Stiefmutter und der Seneschall den Bergfried so bereitwillig aufgegeben haben?«
Nichts Gutes ahnend, machte Alaines Herz einen Sprung. Gewiß kündigte sich etwas an, was ihr nicht behagen würde.
»Ich weiß, Ihr seid Ritter Rorik, den Eure Gefolgsmänner der Steinerne Drache nennen. Ich weiß, Ihr habt widerrechtlich Krieg gegen mich …«
»Ich bin Rorik, Sohn des Sir Stephen Valois de Brix.«
»Das kann nicht sein!« Ihre Stimme erbebte. »Ihr seid tot. Alle Söhne von Sir Stephen sind tot. Mein eigener Vater hatte mir von dem Gemetzel berichtet.«
Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Lächeln. »Alle sind tot, außer einem. Außer mir. Ich bin mit Sihtric entkommen. Obwohl erst ein milchbärtiger Knabe, bot ich meine Dienste dem Herzog an. Aber nun bin ich hier, um meinen rechtmäßigen Besitz zurückzufordern. Ste. Claire liegt als Hindernis auf meinem Weg. Ich denke, ich habe eine viel passendere Strafe für ein hochmütiges Fräulein parat – eine, die kein junges Blut an meine hungrige Schwertklinge vergeudet.«
Sie wartete ab und sah ihn mit einem herausfordernden Blick an. Was immer er auch mit ihr anstellte, sie würde sich ihm nie unterwerfen. Sie, Alaine de Ste. Claire, war, wie es einem Edelmann geziemt, zum starken, unbeugsamen und stolzen Ritter erzogen worden.
Er lächelte einfach weiter, als sie ihr Kinn höher reckte. »Seid Ihr nicht neugierig auf Euer Schicksal, Mylady?«
Sie schaute verächtlich. »Sprecht nur, Herr Drache. Falls Ihr jedoch erwartet, mich vor Angst zittern zu sehen, macht Euch auf eine Enttäuschung gefaßt.«
»Ich bin sicher, Eure liebende Stiefmutter wird meine Gnade zu schätzen wissen, daß ich Euch einfach eine Lektion in Demut erteilen werde, statt Euch aufzuknüpfen, wie Ihr es wohl verdient hättet. Wir werden ja sehen, wie lange Euer stolz durchhält, wenn Ihr Fronarbeit in der Küche leisten müßt.«
»Was?« kreischte sie. Sie sah ihn entgeistert an und hoffte, er mache nur einen Scherz. Immer noch lag dieses Lächeln auf seinem Gesicht, das sie zur Raserei brachte. »Ich bin ein Edelfräulein – die rechtmäßige Herrin dieses Lehens! Und zudem bin ich, außer meinem Namen und meinem Geschlecht nach, in allem wie ein Ritter! Ich habe ehrenhaft und tapfer wie ein Krieger gegen Euch gekämpft! Das dürft Ihr mir nicht antun! Ihr könnt mich nicht behandeln wie eine … eine Leibeigene!«
»Halt dich im Zaum, Frauenzimmer, ehe ich mich dazu hinreißen lasse, dir zu zeigen, was ein Herr mit hübschen, aufsässigen Küchenmädchen anstellt. Vielleicht wird es an der Zeit zu lernen, daß du … eine Frau bist.«
In den folgenden zehn Tagen verrichtete die stolze Alaine de Ste. Claire, Augapfel ihres Vaters und einst Herrin über alles, was sie umgab, als Dienstmagd die niedrigsten Arbeiten. Sie schrubbte Tische und Fußböden, schürte morgens in allen Gemächern das Feuer und hütete es den ganzen Tag über. Sie half große Stücke Fleisch und fette Braten am Spieß zu drehen – alles unter der Aufsicht der alten Hilda, einer Frau, an die sie in glücklicheren Tagen kaum das Wort gerichtet und schon gar nicht Befehle entgegengenommen hatte. Nach eines langen Tages Arbeit suchte Alaine mit den anderen Küchenmägden ihre Ruhestatt auf einem harten Strohlager neben dem Küchenherd auf. Trotzdem bewahrte sie ihre stolze Haltung, auch wenn ihr die Haare in schmuddeligen Strähnen herabhingen und es unter ihren Fingernägeln schwarz war. Harte Arbeit und ständige Entwürdigung bändigten nicht den flammenden Zorn, der in ihrem Inneren brannte. Sogar die Ritter aus Roriks Gefolge zögerten, ehe sie einen Dienst von ihr verlangten.
Ein Tag nach dem anderen verging, eingehüllt in einem trüben Schleier von Wut, Verletztheit und Erschöpfung. Alaine war harte Arbeit auf dem Turnierfeld gewohnt – Reiten, Schwertkampf und Bogenschießen – aber nicht bücken, kriechen und schrubben, wie es eine gemeine Küchenmagd verrichten mußte. Ihr Rücken schmerzte, ihre Hände waren blutig aufgerissen, und ihre fettigen Haare und der Schmutz auf ihrem Körper ekelten sie an.
Wann immer sich Alaine in den Saal begab, fühlte sie Roriks Augen wie ein bleiernes Gewicht auf ihr lasten. Er hatte kein einziges Wort mehr an sie gerichtet, seit er sie zu diesem Los verurteilt hatte. Ihre Angst, er würde seine Drohung wahrmachen, ließ langsam nach; aber nachts verfolgten sie seine erschreckenden Worte in ihren Träumen. Sie
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