Die Herrin von Sainte Claire
leer.
Trotz der verlockenden Speisen, die man ihr vorsetzte, konnte Alaine kaum einen Bissen hinunterbringen. Sie lächelte ihren Gästen zu und spielte die gute Gastgeberin, wich aber beharrlich den Blicken des Mannes an ihrer Seite aus. Daß nun dieser grimmige Ritter, dieser schroffe Fremde, ihr Gemahl war, konnte sie immer noch nicht fassen.
Auch Rorik verhielt sich wortkarg und starrte sinnierend in seinen Bierkrug. Sihtric gönnte ihm keine Atempause und stichelte ihn gnadenlos mit Vermutungen über die kommenden Annehmlichkeiten des Ehestandes. Die beglückende Zufriedenheit des neuen Herrn auf Ste. Claire mit Herd, Heim und seinem schönen Weib, würden ihn Brix vergessen machen, kicherte Sihtric. Der Nordmann übersah geflissentlich Roriks bitterbösen Blicke. Sein Krug leerte und füllte sich immer wieder neu und sein schallendes Gelächter wuchs an Lautstärke, seine Scherze wurden immer schlüpfriger. Mehr als einmal mußte eine entrüstete Joanna den Liebkosungen seiner Hand ausweichen, die einen Hang zu haben schien, auf ihrem Schenkel zu ruhen.
Das Dessert wurde aufgetragen, da waren schon alle beinahe satt, doch irgendwie fanden die meisten noch Platz, um ihre schon prallen Bäuche mit gebackenen Birnen, geschälten Walnüssen, Datteln und getrockneten Feigen vollzustopfen. Nachdem das Dessert verspeist war und die Gäste befriedigt aufseufzten, gingen Alaine und Joanna, die höchstgestellten Damen auf Ste. Claire, mit Körben zwischen Tischreihen durch, um die Speisereste für die Armen einzusammeln. Heute waren Bauern und Leibeigene so satt geworden wie die Barone und ihre Damen, aber schon am nächsten Morgen würden sich wieder Bettler an den Toren einfinden. Wie Pater Sebastian immer predigte, Arme und Hungernde waren stets unter ihnen. So übten die edlen Damen zu dieser Gelegenheit die Tugend der Mildtätigkeit aus.
Als der Nachmittag weiter fortgeschritten war, gesellten sich die Tafelnden des großen Saals zu weiteren Lustbarkeiten in den Burghof. Es war ein warmer Tag für die Jahreszeit. Manch Edelmann, vom Bier und Wein milde gestimmt, beteiligte sich freudig an den Gesellschaftsspielen der Dorfbewohner. Einige gesetztere Barone und ihre Damen und ein paar von Roriks älteren Rittern zogen es vor, beim Feuer zu bleiben und sich mit den ruhigeren Brettspielen zu vergnügen. Plötzlich packte Alaine das Verlangen, der beunruhigenden Gegenwart ihres Gemahls zu entfliehen und folgte den Gästen aus dem Bergfried hinaus in den Burghof. Sofort hakte sich Mathilde bei ihr unter.
»Wie fühlt man sich als verheiratete Frau?« Die Augen des jüngeren Mädchens blitzten schalkhaft.
Noch ehe Alaine mit einer beiläufigen Nichtigkeit antworten konnte, trat Gunnor auf sie zu und ließ ihrer spitzen Zunge freien Lauf. »Woher sollte sie das wissen, wie man sich fühlt?« sagte sie. »Noch ist sie keine richtige Ehefrau. Frag sie morgen früh, wie das ist, wenn das Gewicht eines Mannes auf dir lastet und du die Sklavin seiner niedrigen Triebe bist.«
Mathilde warf ihrer Schwester einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe keinerlei Anzeichen von Abscheu an dir feststellen können, als Rorik sich bereit erklärte, uns Ehemänner zu suchen. Du beklagst die Last der Ehe und jammerst darüber, was die Männer doch für brünstige Ungeheuer seien, doch du zögerst keinen Augenblick lang, wieder in den Ehestand zu treten. Ich glaube, du willst Alaine nur ängstigen!«
Gunnor rümpfte die Nase. »Die Ehe ist das Los der Frau auf Erden. Ich trage mein Los wie es jeder christlichen Frau geziemt. Was nicht heißen soll, daß es mir behagt. Und was Alaine betrifft, sie ist aus härterem Holz geschnitzt, um sich vor etwas zu fürchten, was auch jede andere Frau klaglos über sich ergehen läßt. Schließlich ist sie – in ihren Männerkleidern und in ihrer kecken Art- so viel stärker als wir einfachen Frauen. Stimmt das nicht, Schwester?«
Alaine knirschte mit den Zähnen und wünschte, Gunnor würde in ein tiefes Loch plumpsen und dort unten den restlichen Nachmittag und Abend verbringen. Das ältere Mädchen wollte ihr bange machen, und es gelang ihr. Auch wenn Gunnor eine verbitterte Zimperliese war, ihre Spitzen konnte sie gezielt abschießen.
Alaine empfand den Nachmittag keineswegs als festlich. Ihre Eingeweide waren in Aufruhr, und ihr Magen verkrampft. Als die langen Abendschatten sich bedrohlich über die Feier legten, nahm sie Reißaus in ihre Kammer, und übergab sich mit dem Wenigen, was sie
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