Die Herrin von Sainte Claire
beide mit höflicher Verachtung an.
Schließlich gab Alaine innerlich empört auf. Sie war es nicht gewohnt, übergangen zu werden – sie, die der Augapfel ihres Vaters und sein ganzer Stolz gewesen war. Wie konnte Rorik sie nur so kalt behandeln, nach all seiner Zärtlichkeit und Wärme in der vergangenen Nacht. Hatte sie sein Mißfallen erregt? Aber wie denn, wenn sie ihn doch den ganzen Tag nicht gesehen hatte?
Für den Rest des Abends pflegte Alaine ihre verletzten Gefühle. Rorik schien ihre giftsprühenden Blicke, die sie in seine Richtung warf, gar nicht zu bemerken und unterhielt sich weiter in heiterer Laune mit William. Alaine und Rorik gingen erst zu Bett, nachdem sich die meisten Gäste in ihre Gemächer zurückgezogen und die von niedereren Rang sich auf die Strohlager im Saal gebettet hatten. Kaum war die Tür ihres Gemaches hinter ihnen zu, wollte Alaine den Mund aufmachen, um ihrem Mann gehörig die Meinung zu sagen, aber ihre Lippen wurden jäh verschlossen.
Den ganzen Tag über hatte Rorik vergeblich versucht, den lästigen und doch so aufreizenden inneren Bildern von Alaine, die ihm durch den Kopf schwirrten, einfach zu entgehen. Er war fest davon überzeugt gewesen, wenn er einmal mit ihr verheiratet wäre, würde ihm die kleine Wildkatze keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Doch die leidenschaftliche und zärtliche Seite ihres Wesens, die sich bei ihrer Hochzeitsnacht offenbart hatte, verwirrte nun vollends seinen Verstand. Warum war sie nicht wie andere Frauen, deren verführerische Wirkung für ihn stets nachließ, wenn er einmal ihre Reize genossen hatte? Den ganzen Tag über war er bestrebt gewesen, den Gedanken an seine verlockende Frau zu verdrängen. Kaum waren sie jedoch in der vertraulichen Umgebung ihres Gemachs, drängte das zehrende Verlangen seiner Lenden nach Befriedigung. Sie waren nur zwei Schritte im Raum, da zog er sie schon in seine Arme.
Mit aufwallendem Zorn stieß sie ihn von sich. »Rorik, ich möchte bloß wissen …«
Ihre Frage wurde von seinem sich ihr nähernden Mund unterbrochen.
»Still, Weib!« flüsterte er, als sie halbherzig Anstalten machte, sich aus seinen Armen zu winden. »Jetzt ist nicht die Zeit, sich zu unterhalten.«
»Aber …!« Eben im Begriff, all ihre Kräfte zu sammeln, ließ er sie plötzlich los. Der Anblick Roriks, wie er sich blitzschnell seiner Kleider entledigte, lenkte ihre Gedanken auf andere Dinge. Zielstrebig zog er sie wieder an sich, löste mit geschickter Hand zuerst ihr Obergewand, dann das Untergewand. Er schubste sie sanft aufs Bett und begrub ihren Körper unter sich. Nun war jeder Gedanke, außer einem, gänzlich bedeutungslos.
Die folgenden Tage trugen nur noch mehr zu Alaines Verwirrung und wachsenden Ärger bei. Nachts schwelgte sie in der leidenschaftlichen Glut Roriks. Es wurden jedoch keine Worte der Liebe oder Beteuerungen ewiger Ergebenheit verloren. Doch verstand er es, mit ihrem Körper wie auf einem sorgfältig gestimmten Instrument zu spielen. Er führte sie hinauf auf die höchsten Höhen des Verlangens und mit beinah höhnischer Freude kostete er ihre erwachende Sinnlichkeit aus. Die ungestüme Kraft seiner Liebe ließ keinen Raum für irgendwelche Täuschung. Alaine wußte, der Sinnentaumel, den ihr Körper ihm schenkte, war nicht gespielt. In dieser einen Hinsicht wenigstens hatte sie etwas in ihm berührt.
Tagsüber dann war Rorik höflich, zeigte ein untadeliges Benehmen und verhielt sich dabei kalt wie Eis – ein vollkommen anderer Mann als der Geliebte, der sie in den nächtlichen Stunden in wilde Ekstasen lockte. Ihr wurde langsam klar, weshalb seine Gefährten ihn Steinerner Drache nannten. Seine kühle Zurückhaltung bedrängte und verwirrte ihr Herz. Die Kälte in ihrer Beziehung ließ ihr zaghaft keimendes Gefühl des Vertrauens und der Zuneigung ersterben.
Da sie nicht mehr aus noch ein wußte, wandte sie sich an Joanna um Rat. Sie erhielt eine wohlgemeinte Lektion über Pflicht und Gehorsam und über das Verständnis der Ehefrau gegenüber den Schwächen des Ehemanns. Nachdem ihre Stiefmutter sie nicht hatte trösten können, wollte sie bei Mathilde nachfragen. Allerdings war Mathilde in diesen Tagen kaum im Saal zu sehen. Wohl aus Schüchternheit vor den vielen Fremden, hatte sie sich in ihr Gemach zurückgezogen. Alaine hatte nur einmal die Gelegenheit, sie dort aufzusuchen, aber da war Mathilde irgendwohin verschwunden. Und Gunnor im Hilfe zu bitten, wäre einfach undenkbar. So verzweifelt
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