Die Herrin von Sainte Claire
heranwachsen würdet, wenn nicht eine gute Frau Euch in die Hände bekäme. Daher war ich nicht sonderlich überrascht, Euch durch die Wälder wie einen gewöhnlichen Räuber streifen zu sehen, als ich nach Ste. Claire kam und vom Tode Eures Vater erfuhr.«
Alaine schnaubte beleidigt. »Ich bin nicht wie ein gewöhnlicher Räuber durch Wälder gestreift. Ich habe mein Land verteidigt.«
»Gegen seinen rechtmäßigen Besitzer.«
»Das wußte ich zu diesem Zeitpunkt nicht.«
»Nun, da Ihr es wißt, trachtet, es ja nicht zu vergessen.«
Alaine runzelte die Stirn. Sein Ton klang halb scherzhaft, aber in seiner Stimme lag eine angedeutete Warnung.
»Ich würde mich nie mehr gegen Euch wenden, um Euch zu bekämpfen, Rorik. Ich nehme meine Schwüre nicht auf die leichte Schulter.«
Roriks Lächeln darauf wirkte eine Spur höhnisch. »Und wie Ihr heute morgen schon sagtet, Ihr seid klüger, als diese Missetäter in den Wäldern. Kommt. Wir müssen hier absteigen.«
Sie banden ihre Pferde fest und gingen den Pfad entlang auf den Abhang zu. Der Abstieg zum Strand war dann mehr eine Reihe von Tritten und Griffen, als ein Fußweg. Alaines Gewand behinderte ihre Beweglichkeit. Schließlich setzte sie den Fuß ein paar Augenblicke später auf den Sand, nachdem Rorik schon am Ufer stand.
Der Meereswind war kalt und voller brennender, salziger Tropfen, die er vom schäumenden Wasser in die Luft gewirbelt hatte. Felsen und Strand erbebten schier unter dem gewaltigen Tosen der aufgewühlten Brandung, die schlürfend über das Land fegte oder krachend darüber hereinbrach. Am Ufer, wo das Wasser seine Füße umspielte, stand Rorik mit gespreizten Beinen und den Armen über die Brust gekreuzt. Sein Blick schweifte hinaus auf die See.
Um ihre Schuhe nicht zu benetzen, stellte sich Alaine an die Felsen. Sie hievte die Röcke bis zu den Knien hoch und stand dann neben ihrem Mann. Wenn er ihre Gegenwart bemerkt hatte, so zeigte er es nicht. Eine lange Weile standen sie so nebeneinander, jeder stumm in seine eigenen Gedanken vertieft.
»Ist er so wie in Eurer Erinnerung?« fragte sie, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken.
»Was?« Er wandte sich mit finsterer Miene an sie.
»Der Strand. Ist er so wie in Eurer Erinnerung?«
Er seufzte und ließ von seinen düsteren Grübeleien. »Er hat sich geändert.« Zum ersten Mal blickte er sich um. »Es gibt mehr Sand und weniger Felsen. Nun sind es beinahe zwölf Jahre her, seit ich zum letzten Mal den Fuß auf diesen Strand gesetzt habe.«
»Was werdet Ihr im Frühling unternehmen, mein Gemahl, wenn Ihr Brix zurückerobert?« In ihrer Stimme klang keinerlei Zweifel darüber, daß er sein Zuhause wieder einnehmen würde. Roriks ganzes Lebens war dem Krieg gewidmet. Und er war der beste Kämpfer, den Alaine je gesehen hatte.
»Was meint Ihr damit – was ich unternehmen werde? Ich werde mir das zurückholen, was mir gehört und darüber herrschen, wie es meine Familie von jeher getan hat.«
»Und wie werdet Ihr Euch an Eurer Mutter rächen, die Euch verraten hat? Werdet Ihr sie mit dem Schwert bestrafen?«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu.
»Sihtric hat mir erzählt, was sich zugetragen hat«, erklärte sie.
»Sihtric überschreitet seine Grenzen.«
Sie lächelte mit leisem Spott. »Er wollte mir erklären, weshalb Ihr Euch manchmal wie ein Narr verhaltet.«
»Hat er das getan?«
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, lenkte sie ab.
»Ich bezweifle, ob meine Mutter Fulks Herrschaft lange überlebt hat.« Roriks Stimme klang verbittert. »Er wollte sie nur aus einem einzigen Grund. Fulk gierte nach Land und nach Macht, nicht nach Frauen.«
»Aber sie lebt noch«, eröffnete ihm Alaine. »Ich selbst bin Lady Theoda begegnet, als ich nach Brix geritten bin, Eure Hilfe zu erbitten.«
Rorik verharrte in grimmigem Schweigen, sein brütender Blick war aufs Meer gerichtet.
»Sie ist vor ihrer Zeit gealtert. Ich denke, Fulk ist nicht sehr gütig zu ihr gewesen.«
»Was beschäftigt Ihr Euch mit ihrem Schicksal?« erboste sich Rorik.
»Mir wäre angst um Euch, wenn Ihr Eure Rache an ihr stillen würdet«, bemerkte Alaine nachdenklich.
Rorik lächelte höhnisch. »Meint Ihr denn, ich würde meiner eigenen Mutter ein Leid zufügen, der Frau, die mich geboren hat?«
Alaine war nicht so leicht zu beirren. »In Anbetracht ihrer Tat, meine ich schon.«
»Und Ihr würdet sie verteidigen?«
Sie erwiderte nichts.
»Ja«, fuhr er mit dunkler Stimme fort. »Ich sehe, das
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