Die Herrin von Sainte Claire
ausgewichen? Wo war die alte Alaine de Ste. Claire geblieben, die sich vor nichts fürchtete?
Eines Nachmittags schlich sich eine bedrückte Alaine zum Hundezwinger, in der Hoffnung, eine offen und ehrliche Aussprache mit Mallie könnte sie aus dem dunklen Stimmungstal herausholen. Sie schloß die Tür des Hundezwingers, und der warme, muffige Hundegeruch schlug ihr entgegen. Für die Geburt ihres zweiten Wurfes war Mallie in den Hundezwinger gesteckt worden.
Beim Eintritt Alaines trommelte die sanftmütige Hündin freudig-erregt mit dem Schwanz auf den Boden. Sechs zittrige braune Bündel drängten sich um ihre Zitzen und stießen leise wimmernde Protestlaute gegen die blind übereinanderpurzelnden Geschwister auf der Suche nach einer Zitze fort. Alaine mußte lächeln. Bei der herzlichen Begrüßung ihres Hundes wurde ihr leichter ums Herz.
»So, Mallie, altes Mädchen«, gurrte sie zärtlich. »Was für hübsche Jungen. Gewiß werden sie alle so gute Jagdhunde wie du, mein Mädchen.«
Mallies hechelte mit einem freundlichen Hundegrinsen.
»Ja«, lachte Alaine. »Wie ich sehe, bist du sehr stolz. Doch wie der liebestolle Diable mit den Hängeohren einen so schönen Wurf zeugen konnte, will mir nicht in den Kopf. Du allein wirst es gewesen sein, meine schöne Mallie. Und sieh nur, wie er im Saal herumstolziert, während du hier im Hundezwinger liegst und dich plagst!« Alaine lachte leise. »Männer sind doch alle gleich, diese hochnäsigen Lümmel.«
In der warmen, dunstigen Stille des Hundezwingers wurde ihr das unbestimmte Gefühl der vergangenen Wochen auf einmal zu glasklarer Gewißheit. Natürlich, es war ganz einfach. Ihre ungewöhnliche Niedergeschlagenheit, der Gewichtsverlust, der Appetitmangel … Zwar litt sie nicht unter Übelkeit, aber das war so bei manchen Frauen. Und ihre Regel war, bis auf einmal nach Weihnachten, ausgeblieben.
Vorsichtig legte sie eines der Jungen zurück zu dem Knäuel seiner Geschwister. Sie hätte es eher wissen müssen, wie es um sie stand, doch in letzter Zeit hatte sie wenig nachgedacht und sich nur ihren düsteren Gedanken hingegeben.
Rorik wäre entzückt, überlegte sie mit einem bitteren Beigeschmack. Er hatte sich als zeugungskräftiger Mann bewiesen, seine Pflicht der Gesellschaft gegenüber getan. Nun konnte er all seine Kraft und Energie auf den Krieg lenken, der im Frühsommer stattfinden würde. Alaine war erschrocken über den schmerzhaften Stich, den dieser Gedanke ihr versetzte. Nun würde sie auch noch den kleinen Teil verlieren, der ihr von ihm übriggeblieben war. Scham überkam sie, diesen Dummkopf immer noch zu lieben und sich sogar noch an seine lieblosen Umarmungen zu klammern.
Nein. Nichts war zu Ende. Noch nicht. Bald würde Rorik gen Brix reiten. Wer weiß, ob er je wiederkehrte? Wenn er nicht in der Schlacht fiel, so überlegte er es sich vielleicht, seine lästige Frau in ihrem eigenen einsamen Turm zu lassen und auf Brix zu bleiben. Eine nicht abreißende Folge von Mätressen wäre stets für ihn bereit, seine männlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Insbesondere, wenn er davon erfuhr, daß ein Erbe in ihr wuchs. Sie wollte soviel Zeit wie möglich gewinnen. Schließlich war Rorik immer noch der Mann, den sie liebte. Nie würde es einen anderen in ihrem Leben geben.
Also würde sie ihm ganz einfach nichts von dem Kind erzählen.
20
Frühling war Alaines liebste Jahreszeit. Das Herz ging ihr auf, wenn sie bei morgendlichem Vogelgezwitscher und dem frischen Geruch neu erwachenden Lebens die Augen öffnete. Nun, da die Sonne immer früher aufging, stand sie viel leichter auf.
Zu Frühlingsbeginn war Pater Sebastian so richtig in seinem Element. Weihnachten war ein Fest der Hoffnung, doch Ostern war die heiligste Zeit im Jahr. Er bat um Alaines Hilfe, die Dörfler zur Teilnahme bei einem Mysterienspiel für die großen Festtage zu ermuntern. Außer sich vor Freude begrüßte er Judiths Wunsch, eine Rolle in dem Schauspiel zu übernehmen. Anfangs sträubte sich Joanna dagegen, ihre Jüngste gemeinsam mit Leibeigenen und Bauern auftreten zu lassen. Schließlich konnten Alaine und der Priester sie doch von der Harmlosigkeit dieses frommen Unternehmens überzeugen.
In dieser heiteren und gelösten Stimmung war sie sogar in der Lage, den Vater ihres Kindes mit einigem Wohlwollen zu betrachten. Sie gingen jetzt höflich, zurückhaltend und vorsichtig miteinander um, wie zwei Freunde, die in eine Fehde verwickelt waren. Wenn er gelegentlich ihren
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