Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
Vom Netzwerk:
Leben in greifbare Nähe rückt.
    Sie schreibt, dass sie in Müritz nicht länger bleiben kann und vorübergehend zu einer Freundin ziehen wird. Vielleicht ist das gut, vielleicht nicht. Das Wunder entschwindet ihm, hat er das Gefühl, nur in ihren Briefen meint er es noch zu spüren. Von einem Döberitz hat er nie gehört. In der kleinen Pensionsbibliothek, weiß er, ist ein alter Atlas, er muss nicht lange suchen, der Ort liegt keine hundert Kilometer von Berlin entfernt, in westlicher Richtung.
    In den ersten Tagen ist es für ihn nicht leicht, in Schelesen zu sein. Schelesen ist Vergangenheit, es ist ihm alles auf schmerzhafte Weise vertraut, das Liebliche der Landschaft, Häuser und Villen, die halb bäuerlich, halbtouristisch sind, Wege und Wälder. Hier, in diesem Nest, hat vor Jahren die unselige Geschichte mit Julie begonnen, am Ortseingang in der Villa, in der auch Max und Felix schon untergekommen sind. In der Villa waren keine Zimmer mehr frei. Er ist froh, nicht dort sein zu müssen, aber dann, als er eines Nachmittags hingeht und auf den Stufen der Treppe zum Eingang steht, versteht er gar nicht mehr, warum, da er kaum noch weiß, wer er damals gewesen ist. Die Geschichten löschen sich gegenseitig aus, denkt er, die Briefe, die Seligkeit der Küsse, die Umarmungen, die einander folgen und nicht bleiben, nicht mal als Schatten.
    Er hat an seinen Vater geschrieben in dieser Villa.
    Ottla ist zartfühlend genug, ihn auf nichts zu stoßen. Sie geht durch diese Landschaft, als wäre sie ihr halbes Leben durch sie gegangen, erinnert ihn nur an Szenen, die sie und ihn betreffen, wie sie einmal nach Mitternacht über den Zaun des Schwimmbads geklettert sind und bei Mondschein im Wasser planschten, an irgendwelche Albernheiten beim Essen, an die komischen Fratzen aus Stein, auf denen sie im ersten Sommer herumgeklettert sind. Weißt du noch, fragt sie und zeigt auf ein Haus am Hang, hinten in dem kleinen Tal, wo sie eines Tages eine Katze mit ihren Jungen in der Wiese entdeckten. Die Erinnerung ist sehr vage. Eine Katze mit ihren Jungen, ja, aber ohne Details, ohne die Farben, die Bedeutung, die es in diesem Moment für Ottla gehabt hat.
    Halb im Scherz hat er vor Jahren zu ihr gesagt: Wenn ich eines Tages heirate, heirate ich eine wie dich. Das wird schwer, hat sie erwidert, so eine wie mich findet man nicht leicht. Ist das hier in Schelesen gewesen oder doch in Zürau oder woanders?
    Es hat auch Enttäuschungen gegeben mit Ottla. Seit sie Kinder hat, sieht sie ihn manchmal wie aus großer Fernean. Ihre Nächte sind nicht besonders, die kleine Helene ist erst vier Monate alt, aber es ist schön zu beobachten, wenn Ottla sie stillt, wie sie ohne Worte verbunden sind.
    Hin und wieder lernt er noch etwas. Er schätzt zum Beispiel die Bedeutung von Briefen nicht mehr so hoch ein, wartet nicht ungeduldig auf Antwort. Kommt ein Brief, ist er überglücklich, legt ihn zur Seite und sagt: Na schau, ein Brief aus Müritz, war nicht erst gestern einer da? Aber bringt der Bote nichts, kann er das ohne Enttäuschung hinnehmen, beschuldigt nicht die Post, wie er es früher oft getan hat, muss auch nachher nicht sofort auf sein Zimmer und alles wiederholen, sondern kann mit Ottla und den Kindern bis zum Nachmittag auf der Wiese des Schwimmbads liegen.
    Zugenommen hat er bisher nicht. Er bemüht sich nach Kräften, macht kleine Spaziergänge, beobachtet sich. Ottla sagt: Mach es wenigstens für sie. Wenn du sie liebst, machst du es für sie. Dabei hat er Ottla von seinen Plänen noch nichts gesagt. Jeden Tag nimmt er es sich vor, aber dann verlässt ihn der Mut, oder er hat eine zerrupfte Nacht, oder Ottla hat sie, weil das Kind geweint hat, weil es zu jeder Tages- und Nachtzeit an die Brust will.
    Er hat sie zu einem Spaziergang eingeladen. Ottla trägt ein leichtes Sommerkleid, es ist warm, in den Gärten blühen die letzten Sommerblumen; hie und da wird Holz gemacht, man sitzt faul in der Sonne, der eine oder andere grüßt. Sie gehen nicht sonderlich schnell, Richtung Osten, wo sie soeben die letzten Häuser passieren. Dann der Plan. Die Schwierigkeiten muss er nicht eigens erwähnen. Aber er ist frohen Mutes, sagt er, er sei fest entschlossen. Ottla nickt. Sie hat Fragen zu den Details, aber sonst sagt sie nicht viel. Der Plan ist gut, sie sagt es wiederund wieder. Ich freue mich, sagt sie. Ja, so. Warum nicht. Natürlich helfe ich dir auch. Und etwas verrückt warst du ja immer, wahrscheinlich zu wenig, denn warum

Weitere Kostenlose Bücher