Die Herrlichkeit des Lebens
irgendein Zeichen, damit sie weiß, dass er sie gemeint hat.
Am nächsten Tag hat sie eine Unterkunft. Hans hat telegrafiert, nicht eben freundlich, aber eine Unterkunft scheinen sie zu haben, ein großes Erkerzimmer in Steglitz, in einer Straße, von der sie nie gehört hat, mit Bad und Küche. Erst kann sie es kaum glauben, aber dann doch, sie hüpft vor Freude fast bis an die Decke und erzählt es später auch Paul. Für deinen Doktor, schreibt Hans. Die Sache sei eilig. Bis Ende der Woche muss sie entschieden sein, dazu eine Telefonnummer, der Name der Vermieterin (Frau Hermann), die bei Interesse rückwirkend die Miete für den halben August verlangt. Kein Gruß, nur sein Name, damit sie merkt, dass er nicht dumm ist, oder warum legt sie sich für eine Strandbekanntschaft derart ins Zeug.
Von seinem Zimmer weiß er noch nichts. Sein letzter Brief ist von vorgestern, und trotzdem ist es seltsam, dass er nicht die geringste Ahnung hat, denn sonst wäre er sicher froh, aber er klingt beschwert, als seien seine Tage ein Kampf, von dem nicht feststeht, ob er ihn gewinnen wird. Er sitze auf dem Balkon in der Sonne, lese in den Zeitungen, wie es in Berlin immer ärger wird, beschließe, auf alle Zeitungen zu verzichten, und lese sie dann doch jeden Morgen, um aufs Neue zu erschrecken.
Ottla habe ich von dir erzählt, schreibt er, dass es dich gibt, was du mit mir gemacht hast. Sie hat mich mit großen Augen angesehen und dann gemeint, dass sie das kennt von ihrem Mann Pepo, da sei es ihr ähnlich ergangen. Willst du nicht zu uns nach Schelesen? Platz wäre genug. Die Gegend würde dir gefallen, das Wetter ist bisher freundlich, meine beiden Nichten entzückend. Sie wohnen in einer kleinen Pension, über einem Kolonialwarenladen im ersten Stock, mit Blick auf die Dorfstraße. Das Dorf ist nicht sehr groß, er schreibt von einer Art Tal, rundherum seien bewaldete Hügel, in denen er manchmal spazieren gehe, von einem Schwimmbad schreibt er, das er aber bislang nicht besucht habe. Am ehesten sieht sie ihn in seinem Zimmer, das sie sich so ähnlich wie das in Müritz denkt, wenn er auf dem Balkon sitzt und liest, den ungefähren Blick in die Landschaft, die waldig und hügelig ist, aber ohne Meer, nicht wie hier, wo man dauernd Sand zwischen den Zehen hat.
Liebster, schau, schreibt sie. Kannst du mich sehen? Ich sitze im Garten an dem langen Tisch und zittere wegen Berlin. Halb sitze ich hier am Tisch, halb in deinem neuen Zimmer, das ich mir hell und groß denke und in dem fast immer die Sonne scheint. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, schreibt sie. Es ist windig, alles flattert, fliegt, nichts will bleiben, wo es ist, auch dieser Brief will schnell weg, mit tausend Küssen, deine Dora.
Döberitz hat das Dorf geheißen, jetzt erinnert sie sich. Sie kann sich gleich morgen in den Zug setzen, lässt Judith wissen, man muss mehrmals umsteigen, aber willkommen bist du jederzeit. Judith ist selbst erst seit letzter Woche da, sie bleibt bis Ende September, weil sie endlich für ihre Prüfungen lernen muss, was soll man in diesem verregneten Sommer sonst auch tun. Ich freue mich auf dich. Männer gibt es hier leider keine, zumindest habe ich nichts dergleichen entdeckt, es gibt nur halbwüchsige Bauern, die mich ausgiebig begaffen, du wirst ja sehen.
Paul wirkt etwas enttäuscht, als sie von Judiths Einladung erzählt. Insgeheim hat er wohl gehofft, sie käme mit nach Berlin , aber nun will sie nach Döberitz, fängt schon an, sich zu verabschieden, unten am Strand, als dürfte sie um Himmels willen nichts vergessen, dabei ist es erst Donnerstag. Paul sieht ehrlich betrübt aus, aber am Abend, als sie mit den Kindern singen und tanzen, ist die Sache vergessen. Sie hat seit Ewigkeiten nichtmehr getanzt, Paul hat sich überreden lassen, und jetzt tanzen sie. Sie passen nicht sehr gut zusammen, aber sie tanzen.
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9
S EIT ER DAS Z IMMER ANGEMIETET HAT, ist der Doktor wieder optimistischer. Die Vermieterin hat sich nur für das Geld interessiert, sie wollte nicht mal wissen, wann genau er einzieht. Dass er ein Doktor ist, schien sie zu beeindrucken, sie hat ihn dauernd mit Titel angesprochen, war auch sofort einverstanden, dass das Geld in einer fremden Währung angewiesen wird, hier in Berlin gehe doch gerade einiges durcheinander. Und also hat er ein Zimmer in Berlin. Er meint sich zu erinnern, wo es in etwa liegt, schickt an Dora ein Telegramm, dass alles geregelt sei, für einen Moment fast heiter, nun, da das neue
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