Die Herrlichkeit des Lebens
einem Verschlag mit Kartoffeln.
Judith hat gesagt, dass sie nicht kocht, sie esse hier draußen nur Brote, aber seit ihr Dora berichtet hat, was in dem kleinen Dorfladen der Laib Brot kostet, leben sie praktisch nur noch von den Vorräten. Es gibt einfache Gerichte mit Kartoffeln, Reibekuchen mit Apfelmus, Püree mit gebräunter Butter, abends eine klare Suppe mit gequirltem Ei, weil Judith bei einem Bauern günstig Eier bekommt.
Ein paar Tage ist sie sehr ausgelassen. Alles ist neu, sie hat Judith, sie hat die Briefe, die langen Spaziergänge, wenn es mal ausnahmsweise nicht regnet. Sie haben sich gar nicht gekannt, stellt Dora fest. Als Judith vor Monaten im Volksheim auftauchte, wirkte sie ziemlich hochnäsig,aber jetzt haben sie richtig Freundschaft geschlossen und erzählen sich die geheimsten Sachen. Judith hat ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann gehabt, kurz bevor sie nach Döberitz geflüchtet ist. Sie hat von Anfang an gewusst, dass daraus nichts wird, aber er ist sehr aufmerksam gewesen, er hat sie zum Essen ausgeführt, ins Theater, er hat sie auf Händen getragen, in den ersten Wochen, als sie ihn hinhielt, weil sie glaubte, sich das schuldig zu sein.
Sie hat ihn in einem seiner Seminare kennengelernt. Er hat sie angesprochen, so mit einem Blick, dass sie gleich wusste, was er von ihr will. Judith, der Name gefiel ihm, obwohl er später gesagt hat, dass er das Jüdische an ihr nicht mag. Findest du, ich sehe jüdisch aus? Mein Name ist jüdisch. Aber sonst? Trotzdem beharrte er darauf. Anfangs habe sie nur gelacht und gefragt, was genau das Jüdische an ihr sei, und natürlich ist ihm nicht das Geringste eingefallen. Er rieche das, hat er gesagt. Meine ganze Art sei jüdisch, wie ich mich bewege, wie ich rede, dass ich gar nicht schüchtern bin. In unserer ersten Nacht, und dann immer öfter. Die Juden seien das Unglück Deutschlands, er als Historiker wisse, wovon er rede. Alles in der ersten Nacht. Judith fühlt sich nicht gut damit; sie war dumm, sie hätte es wissen müssen.
Dora hat nicht viel Erfahrung mit Leuten, die gegen Juden sind. Ab und zu auf der Straße ein böses Wort, im Restaurant ein belauschtes Gespräch. Einmal hat ein Junge vor ihr ausgespuckt, er war keine zehn. Sie ist ihm hinterhergelaufen und hat ihn zur Rede gestellt. Arme Judith. Aber Judith findet sich nicht arm, sie zieht seit Längerem ihre Schlüsse daraus und will, wenn sie studiert hat, nach Palästina. Vielleicht ist es ja Unsinn, dass ich vorher studiere, was brauchen sie dort in Palästina deutsche Juristen, dazu ausgerechnet eine Frau. Sie brauchen Leute, die die Felder bestellen, Gärtner und Bauern, sie brauchen Frauen, die Kinder gebären, dunkle lockige Judenkinder. Jetzt lacht sie, weil sie sich das nicht vorstellen kann. Und du?, fragt sie Dora, die es sich ebenfalls nicht vorstellen kann, sie hat noch nicht darüber nachgedacht, aber denkt sie darüber nach, ist es so wundervoll wie unbegreiflich.
Judith hat sich einen freien Tag genommen. Es ist noch einmal richtig warm, deshalb sind sie nach dem Frühstück los in Richtung Havel und sofort ins Wasser. Judith erzählt, dass sie hier im letzten Sommer von allerlei Bauernjungen belagert worden sei, als hätten sie in ihrem Leben noch nie ein nacktes Mädchen gesehen. Aber diesmal sind sie allein, nur Libellen und die letzten Mücken leisten ihnen Gesellschaft, am Himmel verschiedene Vögel, der rote Milan, sagt Judith, die natürlich auch alle Vögel kennt und davon träumt, sie hätte einen Mann wie den Doktor.
Du bist ein Glückspilz, sagt Judith. Schön bist du außerdem, ein bisschen runder als ich, ohne die spitzen Stellen. Es ist nicht unangenehm, von Judith betrachtet zu werden, wenn sie sagt, hier die Stelle mag ich und die, wenn sie ihr das Haar bürstet, als wären sie Schwestern.
Sie nimmt seine Briefe abends ins Bett, legt sie unters Kopfkissen, so wundervolle Sachen stehen darin. Sehr oft träumt er von seinem neuen Zimmer, von ihrem ersten Abend, wie er sie hochhebt und wegträgt, was er in Wirklichkeit nie könnte, doch im Traum ist es ein Kinderspiel. Außerdem bist du überraschend leicht, ich trage dich mit einer Hand, du bist sehr klein und liegst mitten in meiner Hand, mit geschlossenen Augen, als würdest du schlafen, aber du schläfst nicht, im Gegenteil.
Bislang hat er sich nicht dazu geäußert, wann er dieses Schelesen verlässt. Erst heute Morgen beim Erwachen hat sie gedacht, in wenigen Tagen, man kann sie zählen, aber
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