Die Herrlichkeit des Lebens
redet von einem großen Geschenk für die Mutter, für das Fräulein braucht er etwas und für Dora. In Prag werden sie zusammen einkaufen, verspricht er, eine neue Handtasche, einen schönen Füller zum Schreiben, was immer sie sich wünscht.
Sie möchte ihm nie mehr schreiben müssen.
Nach Prag fährt sie fürs Erste nicht. Sie haben darüber gesprochen, bei den Eltern wäre kein rechter Platz, sie müsste ins Hotel, es ist nicht absehbar, wann er einen Platz im Sanatorium bekommt, sobald sie das wissen, wird sie ihm folgen. So bedrückt wie heute hat sie ihn noch nicht erlebt. Er nimmt es täglich schwerer, den Abschied von Berlin, die bevorstehende Trennung, das Ende der Freiheit. Wie soll ich nur sein ohne dich? Kannst du mir das erklären? Er habe ihr lange nicht gesagt, was sie für ihn ist, obwohl das gar nicht wahr ist. Sie sitzen auf dem Sofa, sie denkt: nur noch dieses eine Mal, sie hat ihren Kopf gegen seine Schulter gelehnt, ach, du Dummer, du Dummer.
Morgen erwarten sie Max. Sie haben miteinander telefoniert, es gibt ein kleines Hin und Her wegen des Termins, aber er erklärt sich sofort bereit, Franz zu holen. Noch sind die Dinge an ihrem Platz, wo immer sie sich niedergelassen haben, auf dem Sofa ein aufgeschlagenes Buch, ihr Nähzeug, sein Jackett auf der Lehne, Wäsche und Kleider in den Schränken, seine Hefte. Es ist Abend, draußen ist es noch hell, man spürt, dass der Winter sich zurückzieht, sie träumen vom Frühling, irgendwelchen Reisen, zu denen es womöglich nie kommen wird, selbst in guten Zeiten nicht, falls das nicht gerade die guten Zeiten sind, und das sind sie ohne Zweifel.
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M AX HAT SICH FÜR DEN SPÄTEN N ACHMITTAG angekündigt , deshalb kann er noch arbeiten. Es geht ihm nicht gut, trotzdem arbeitet er seit ein paar Tagen ohne Unterlass, die Geschichte über das Singen oder vielmehr: das Piepsen, denn er schreibt eine Geschichte über Mäuse. Fast ist es wieder ein Glück, hier mit Dora in diesem Zimmer, die auf dem Sofa sitzt und ihn lässt, vielleicht zum letzten Mal, denn augenblicklich fühlt sich alles so an, als wäre es das letzte Mal. Dora hat gesagt, dass ihr der Name gefällt. Josefine. Bist du das? Eine singende Maus? Denn das hat sie inzwischen verstanden, man schreibt über Tiere und nichts weniger als über Tiere, weil sie nur ein Beispiel sind, so wie das Ich nur ein Beispiel ist, denn diesmal schreibt er in gewissem Sinne über sich. Um die Sängerin geht es nicht. Ihn interessiert der Blick der Menge, das Publikum, das sich ihren Künsten hingibt und doch jederzeit weiß, dass sie ohne große Bedeutung sind, auch nach ihrem Tod, denn eines Tages wird der Gesang von Josefine verstummen. Noch vor der Abreise nach Davos möchte er fertig sein. Weiter denkt er kaum, denn bislang ist dieses Davos nur ein Name, und zum Fürchten genügt ihm, dass er nach Prag muss. Dora würde ihn am liebsten begleiten, sie beneidet Max, ist ein bisschen böse auf ihn, aber es sind ja nur die paar Tage. Außerdem muss sich jemand um die Wohnung kümmern, Dora hat Verpflichtungen im Volksheim, während es für Max eine normale Reise ist.
Sehr viel haben sie am Abend nicht mehr gesprochen. Max ist müde von der Fahrt, muss gleich los, weil er eine Verabredung hat, nicht mit Emmy, von der er nichts weiß, schon seit Wochen nicht. Er bringt zwei große Koffer, es gibt Grüße, die übliche Besorgnis, vielleicht ein wenig mehr als das, ja, Max scheint geradezu bestürzt, voller Bedauern für Dora, dass es so zu Ende geht. Es tut mir so leid für euch. Worauf Dora in Tränen ausbricht, vor dem sichtlich betretenen Max, der wie so oft ein schlechtes Gewissen hat und sich die nächsten beiden Tage kaum blicken lässt. Dora hat zu packen begonnen, während der Doktor beruhigend an die Eltern schreibt, für ein Paket dankt, die herrliche neue Weste, die Butter. Das Fräulein hat sich bereiterklärt, ihm das Zimmer zu überlassen, dafür muss er sich bedanken, und nein, der Diener des Onkels braucht ihn am Montagabend nicht vom Bahnhof abzuholen, auch Robert möge bitte in Prag bleiben, offenbar haben sie zu Hause alle möglichen Leute verrückt gemacht. Dora fragt ihn alle paar Minuten, was mit diesen oder jenen Sachen geschehen soll, sie packt drei Koffer gleichzeitig, packt etwas aus und wieder ein, Wäsche, Papiere, vorhin die Anzüge, die er in der ersten Berliner Zeit getragen hat, die Handschuhe, den Fußsack. Einmal sagt er, dass sie eine Pause machen soll. Hier, sagt er,
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