Die Herrlichkeit des Lebens
als wüsste sie nicht, wo er ist, sie dreht sich zu ihm hin, mit diesem Blick, den er so liebt und der ihm fast das Herz bricht.
Der Samstagabend vergeht, der Sonntagmorgen. Mit dem Schreiben ist es mühsam, aber gut zwei Seiten bringt er zustande. Die letzten Mahlzeiten finden statt, die letzten Berührungen, wenngleich sie beide so tun, als wäre ihr Leben unverändert. Dora fährt sogar für zwei Stunden ins Volksheim, wo neue Kinder eingetroffen sind, eilt zurück, fliegt in seine Arme, noch im Mantel, fast wie damals inMüritz. Später kommt Max. Sie reden über Davos, am Rande über die Geschichte, die er so bald wie möglich vorlesen soll, was die Frage aufwirft, wo und wann. Alle rechnen weiterhin fest mit Davos, wohin ihn nach neuesten Überlegungen der Onkel begleiten wird, und so verabreden sie sich für Davos, jetzt, im beginnenden Frühling, wo es in den Bergen am schönsten ist. Das sagt Max, der Davos als Einziger kennt, und Dora sagt, ach der Frühling, wenn er nur endlich käme, denn draußen ist es zwar sonnig, aber windig und kühl.
Der Abschied ist schwer und umständlich, er scheint kein Ende zu nehmen, am Morgen beim Frühstück, im Wagen zum Bahnhof und dann noch einmal bis zur Abfahrt des Zuges. Dora ist grau vor Müdigkeit, denn sie haben kaum geschlafen, die halbe Nacht nicht, die sie in seinen Armen gelegen hat, die längste Zeit stumm, sodass er schon glaubte, sie schlafe, aber sie schlief nicht, hatte allerlei Sorgen wegen der Reise, sagte zum hundertsten Mal, dass es ja nur die paar Tage sind, wie glücklich sie mit ihm ist, vom ersten Moment an sei sie jede Minute glücklich gewesen. Noch am Bahnsteig im Anhalter Bahnhof wiederholt sie es, rennt auf einmal weg und kommt mit einer Zeitung und zwei Flaschen Wasser, plötzlich sehr fahrig, weil sie das Wichtigste vergessen hat, wie konnte ich nur vergessen, dir zu sagen, was das Allerwichtigste ist. Aber jetzt ist es zu spät, Max und er müssen ins Abteil, es hat bereits zweimal geklingelt, und dann steht sie auf dem Bahnsteig und winkt, bis er sie nicht mehr sieht.
Die erste Stunde ist er mehr oder weniger betäubt, hört wie hinter einem Schleier die Stimme von Max, der ein, zwei Sätze über Dora sagt, keinen Trost, keine Lügen über eine mögliche Besserung seines Zustands, aber über das Glück, das er gesehen hat, nicht nur vorhin auf demBahnhof, als sie vor Kummer ganz krumm war. Kurz vor Dresden schläft er schließlich ein, nicht sehr tief, alles ist flach und leer, in den kurzen Phasen, in denen er wach ist und dem Blick von Max begegnet, der ihm besorgt die Stirn fühlt und jede mögliche Unterstützung verspricht, kurz bevor sich hinter der letzten Biegung das verhasste Prag zeigt.
Sie sind alle versammelt, als Max ihn bringt, Ottla, Elli, Valli, die Eltern, das Fräulein und der Onkel. Vor allem von Seiten des Vaters meint er zu spüren, welche Enttäuschung er für die Familie ist, man ist besorgt und zugleich verstimmt, Berlin hat nur Zeit und Geld gekostet, und nun kann man ja besichtigen, was daraus geworden ist. Zum Glück hat er Max dabei, denn von Max geht seit jeher eine beruhigende Wirkung auf die Eltern aus, sie reden praktisch nur mit ihm, fragen nach der Reise, ob er zum Essen bleibt, was er umständlich ablehnt. Max möchte endlich gehen, es sei spät, sagt er, Franz müsse dringend ins Bett, und erst da, als erwachten sie aus einer Starre, beginnen sie sich um ihn zu kümmern, der Onkel bringt das Gepäck ins neue Zimmer, das Fräulein entschuldigt sich für die bestehenden Unbequemlichkeiten, während Ottla begütigend seine Hand streichelt und sich nach Dora erkundigt.
Nie hätte er gedacht, dass er noch einmal nach Prag muss. Er hat es immer befürchtet, aber nicht unter diesen Umständen. Er ist nur froh, dass Dora ihn nicht sehen kann, im viel zu kleinen Zimmer des Fräuleins, wo er an einem schmalen Tischchen sitzt und ihr schreibt, in dieser Stille, denn alles ist merkwürdig still, irgendwie gedämpft, als würde die ganze Familie nur warten, dass er fort nach Davos kommt.
Länger als ein paar Stunden geht es leider nicht. Am frühen Nachmittag, bevor er sich wieder hinlegt, ist er meistens ziemlich am Ende, das Fieber kostet seine besten Kräfte, die täglichen Besuche von Max, die ihn beleben und zugleich erschöpfen, die Gespräche über Emmy, die Max verlassen hat, den Zustand seiner Ehe. Er schreibt an den Direktor von Davos und dem Onkel, der ihn begleiten wird, dass es ihm leider nicht
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