Die Herrlichkeit des Lebens
und Fluren, die Mehrheit der Bewohner – vier Männer und zwei Frauen – kennt sie schon. Einmal redet sie länger mit derBaronesse, die als aussichtsloser Fall gilt, aber nicht für Dr. Hoffmann, der sie ermutigt, so viel wie möglich zu essen. Sie stopfe das Essen förmlich in sich hinein; gibt es Gurkensalat, nimmt sie statt einer vier Portionen, und so hofft sie, die Krankheit zu besiegen. Das alles sagt sie lachend, dass sie verlobt ist, mit einem Juristen, der sie demnächst heiraten will. Franz hat weiterhin Fieber, vor allem abends, er ist deprimiert, weil er nicht nach draußen kann. Aber er hat Appetit, er ist immer so dankbar, wenn sie kommt, welche Arbeit sie sich für ihn macht. Weißt du noch, das vegetarische Restaurant in der Friedrichstraße?
Von Dr. Hoffmann hat sie bislang keinen klaren Eindruck. Er ist ein umgänglicher Mann mittleren Alters, hat aber durchaus feste Meinungen und lehnt zum Beispiel alle unorthodoxen Behandlungsmethoden ab. Das richtet sich gegen Dora, die einen Naturkunde-Arzt aus Wien anreisen lassen möchte, aber nun nicht die Erlaubnis bekommt. Er verstehe sehr gut, dass man in der gegebenen Situation jedes Mittel versuche, aber die Verantwortung für seine Patienten trage nun einmal er. Franz scheint beinahe erleichtert, denn jeder Arzt kostet eine Unsumme Geld, das Sanatorium kostet, Doras Zimmer, jeder Einkauf. Den halben Tag ist er verdrießlich und beklagt sich, dass er nichts zu lesen hat, weil die Eltern keine Zeitungen schicken. Am Abend telefoniert sie mit der Mutter, und natürlich sind die Sachen längst unterwegs, auch das erbetene Federbett. Vorstellen kann sich die Mutter das Leben in diesem Kierling trotz der Prospekte nicht, ich hoffe, ihr habt auch Zeit für euch, nach all den Aufregungen habt ihr das sicher nötig. Dora ist richtig gerührt, ihr gefällt das Ihr , dass man in Prag begreift, dass sie zu Franz gehört, selbst hier im Sanatorium, dass es trotz allem eine Art Leben ist.
Judith hat zwei große Pakete aus Berlin geschickt, Wäsche und Kleider, um die sie Dora gebeten hat, nun, da keine Rede mehr davon ist, dass sie zurück nach Berlin geht. Dora hat die Sachen vor Wochen gepackt, sie ist überrascht, was sie alles findet, zwei Kleider für die Übergangszeit, ihr Kostüm, ein paar Bücher, Schmuck. Sie zieht sich gleich um, für Franz das bunte Kleid, selbst wenn er es nicht bemerken sollte, doch er bemerkt es auf der Stelle, weiß auch, wann sie es getragen hat, in den ersten Berliner Tagen, er sagt: im Botanischen Garten. Das Kleid hat sie kurz vor Müritz gekauft. Sie mag den plissierten Kragen, die Blumen, die womöglich etwas zu mädchenhaft sind, aber genau das mag er. Sie muss eine Weile vor dem Bett auf und ab gehen, langsam im Kreis soll sie sich drehen, als würde sie tanzen. Sie hat nie mit ihm getanzt, weiß auch gar nicht, ob er das kann, früher, als Student, glaubt sie, aber er schüttelt lachend den Kopf, nein, nie, doch wenn sie will, wird er es lernen. Einen Abend lang ist es fast wie früher. Sie essen zusammen Omelett, beginnen noch einmal zu träumen, von einem Sommer in Müritz, was sie anders machen würden. Nicht sehr viel, wie sich herausstellt, denn im Grunde war ihnen das meiste recht. Dora würde natürlich nicht arbeiten, sie hätten ein gemeinsames Zimmer, näher am Strand, denn der Weg zum Strand war doch etwas weit, allerdings mochte Franz seine Pension sehr gern. Weißt du noch das Zimmer? Den schrecklichen Regen weiß sie noch, wie nass sie war, jede klitzekleine Bewegung. Wie er zu ihr hingegangen ist. Das alles weiß sie. Die Küsse. Wie aufgeregt sie war. So lange ist das her. Aber das Gefühl ist weiter da, die Echos, die es macht, die Angst, die von Anfang da gewesen ist, etwas Lauerndes, über das sie so gut es ging hinwegsah.
[Menü]
7
M IT DEM S CHREIBEN SCHEINT ES endgültig vorbei zu sein. Inzwischen schafft er kaum die Korrespondenz, geschweige denn etwas für sich. Aber das Erstaunliche ist, es beschäftigt ihn gar nicht groß. Er denkt an die kommende Nacht, von Stunde zu Stunde die Verrichtungen, die bevorstehende Visite, eine Behandlung, die nächste Mahlzeit. Er überlegt, ob er heute aufstehen kann, schaut am Morgen nach dem Wetter, ob er auf den Balkon kann, wartet auf Dora, ohne die er längst zugrunde gegangen wäre, denkt an den bevorstehenden Besuch des Lungenarztes, der für morgen bestellt ist und vor dem er sich ziemlich fürchtet. Davon abgesehen fühlt er sich erstaunlich wohl.
Weitere Kostenlose Bücher