Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
Blätter jetzt in der kühlen Luft zitterten.
Bitterholz zitterte ebenfalls, und er zog die zerlumpte Decke, die er als Umhang benutzte, fester um sich.
Wickelstein war Opfer einer Plünderung geworden. Erst einen Monat zuvor noch hatte in dieser kleinen, lebendigen Bergstadt Ordnung geherrscht. Jetzt sah es so aus, als würde es hier spuken. Die Türen zu den Gebäuden standen offen. Die Glasscheiben in den Fenstern waren weg – nicht eingeschlagen, wie Bitterholz bemerkte, sondern sorgsam entfernt. Als er in eines der Häuser blickte, fand er nicht ein einziges Möbelstück. Das, was gestohlen worden war, erzählte eine Geschichte. Drachen würden sich nicht die Mühe machen, Glasscheiben oder Stühle mitzunehmen. Das hier hatten Menschen getan – höchstwahrscheinlich Zeekys Leute, die Einwohner von Großschleck.
Genau solche Vorkommnisse hatten dazu geführt, dass Bitterholz die Menschen ebenso verachtete wie die Drachen. Die Leute von Wickelstein waren mitten in der Nacht zusammengetrieben und gezwungen worden, zur Freien Stadt zu marschieren. Die Drachen waren zügig vorgegangen; sie hatten nur jene mitgenommen, die sie in einer einzigen Nacht hatten auftreiben können. Sicherlich befanden sich in diesen Bergen jede Menge Leute, die von den Drachen nicht gefunden worden
waren. Bitterholz hatte im Tal andere Dörfer gesehen, die von den Völkermordabsichten des Königs unberührt geblieben waren. Die Menschen aus den benachbarten Orten von Wickelstein hätten sich zusammentun und versuchen können, ihre gefangenen Mitmenschen zu befreien. Stattdessen hatten sie sich versteckt, bis die Drachen wieder verschwunden waren, und dann alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Als Bitterholz an einem Haus vorbeikam, an dem sogar die Dachziegel fehlten, begriff er, dass nicht einmal die Tatsache, dass etwas niet- und nagelfest gewesen war, einen Schutz vor Diebstahl geboten hatte.
»Hier spukt es«, sagte Zeeky.
»Hier ist nur einfach niemand«, sagte Bitterholz. Angst flackerte in ihm auf, als er begriff, dass die Leere in diesem Dorf genau das war, was Albekizan – der Drachenkönig – sich für die gesamte Menschheit gewünscht hatte. Eine Woge der Schuld erstickte seine Verärgerung augenblicklich. Albekizans versuchter Völkermord war die Folge seiner Handlungen gewesen. Er selbst hatte diese Gewalt heraufbeschworen, indem er Bodiel getötet hatte, den geliebten Sohn des Königs. Seine Hände waren nicht unbefleckt, was den Tod betraf, der diesen Ort heimgesucht hatte.
Sie gingen durch die Stadt und fanden einen gut sichtbaren Pfad, der einem Bach ins Gebirge hinauffolgte. Der Pfad bestand aus nichts weiter als Steinen und Wurzeln, und er wurde so steil, dass sogar Mörder, eigentlich ein kräftiges Reittier, langsamer wurde. Der Bach plätscherte neben ihnen in einer Reihe von Wasserfällen.
»Wir sind gleich da!«, sagte Zeeky und bewegte sich unruhig.
»Halleluja«, sagte Bitterholz. Er fühlte sich jetzt besser, nachdem er am Abend zuvor eine ordentliche Mahlzeit zu sich genommen und dann gut geschlafen hatte; in dieser Nacht war
er von Träumen verschont geblieben. Er hatte sich einfach in seine Erschöpfung und Krankheit gefügt und von der Abenddämmerung bis zur Morgendämmerung geschlafen. Sein Fieber war gesunken. Er war immer noch etwas geschwächt, aber er spürte, wie etwas von der alten Kraft zurückkehrte.
Ferkelchen schnüffelte in der Luft und grunzte.
»Rauch?«, fragte Zeeky.
Bitterholz schnüffelte ebenfalls. Das Schwein hatte recht. Da war ein Hauch von Rauch in der Luft – verbranntes Holz mit einer Spur Schwefel.
»Wird in dieser Gegend Kohle gebrannt?«, fragte Bitterholz.
»Ja«, sagte Zeeky. »Die Männer holen sie hoch und handeln in Wickelstein damit.«
Ferkelchen grunzte wieder.
»Du hast recht«, sagte Zeeky. »Es stinkt.«
Sie ritten weiter den Pfad hoch, der jetzt noch steiler wurde, während der Wald dichter und dunkler wurde. Die Klippen hoch über ihnen waren voller Höhlen, in denen Schatten hingen.
Sie waren einige Meilen von Wickelstein entfernt, als Bitterholz einen Schrei hörte. Irgendwo weiter vorn schrie eine Frau vor Schmerz – oder vielleicht auch ein Kind.
»Warte hier«, sagte Bitterholz.
»Nein!«, sagte Zeeky. »Wir sind fast da! Es ist gleich hinter der nächsten Biegung!«
»Lass mich vorausgehen und sehen, was da los ist.«
»Lauf, Mörder!«, rief Zeeky.
Mörder machte einen Satz nach vorn. Bitterholz hielt sich an
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