Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
war kastriert und in lebenslangen Dienst bei den Biologen gezwungen worden. Jandra konnte sich nur
zu gut vorstellen, dass ein solches Erlebnis zu unangenehmen Träumen führen mochte, selbst dreißig Jahre später.
Hex erhob sich auf die Hinterklauen, streckte die Flügel und schüttelte die Nachwirkungen des Schlafes ab.
»Alle haben erwartet, dass ich gewinne«, erklärte er. »Aber der Sklave, den ich gejagt habe, ist ertrunken, als er in den Fluss gesprungen ist. Es hat drei Tage gedauert, bis seine Leiche entdeckt wurde. Der Mensch, hinter dem mein Bruder her war, hat sich noch in Sichtweite des Palastes das Bein gebrochen, als er von einem Baum gefallen ist. Seine Schreie haben es leicht gemacht, ihn zu finden. Dacorn hat versucht, mich mit Reden über die Bestimmung zu trösten. Er sagte, dass das Schicksal einen anderen benötigen würde, der die Krone tragen sollte.«
»Vielleicht ist da was Wahres dran«, sagte Jandra. »Niemand hat erwartet, dass Shandrazel König werden würde. Und jetzt wird er vielleicht der König sein, der die Könige abschafft.«
»Das Schicksal spielt bei solchen Dingen keine Rolle«, sagte Hex. Jetzt, da seine Glieder wieder locker waren, hockte er sich ans Feuer. Er hatte die Beine unter seinen Körper gezogen und die Flügel angelegt. In dieser Haltung und mit seinem langen, geschmeidigen Hals erinnerte er an einen riesigen, geschuppten, blutroten Schwan. »Das Leben vollzieht sich im Wesentlichen zufällig. Shandrazel ist aufgrund eines Zufalls König. Bitterholz hat Bodiel getötet und dann meinen Vater. Es war keine leitende Kraft, die ihn auf den Thron gebracht hat.«
»Solche Dinge passieren nicht zufällig«, sagte Jandra. »Bitterholz wollte Rache an deinem Vater nehmen, weil der ihm seine Familie geraubt hat. Es gibt Gründe für das, was geschieht. Unser aller Leben ist miteinander verbunden.«
»Nur, weil unser Leben miteinander verbunden ist, heißt das nicht, dass wir Marionetten sind. Wir besitzen die Freiheit, die Fäden abzuschneiden.«
Jandra gefiel das Bild. »In dir steckt ein Dichter«, sagte sie.
»Unsinn«, sagte Hex. »Dichter haben selten Fleisch auf den Knochen. Ich müsste am Verhungern sein, um einen von ihnen zu essen.«
Jandra lächelte. »Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor einen Sonnendrachen erlebt habe, der Witze macht. Die meisten wirken immer so ernst.«
»Wieso vermutest du, dass ich nicht ernst bin?«, fragte Hex. Dann zwinkerte er ihr zu. »Ich habe vor langer Zeit beschlossen, dass das Leben absurd ist. Wenn man nicht Sinn für Humor entwickelt, treibt es dich in den Wahnsinn. Besonders in diesem Teil der Welt.«
»Was ist so besonders an diesem Teil der Welt?«
»Na ja, der Lärm natürlich.«
»Der Lärm?«, fragte Jandra.
»Der Gesang der Berge«, sagte Hex. »Obwohl wir noch einige Meilen entfernt sind, kann ich bereits das Geflüster der infernalischen Melodie hören. Möglicherweise haben sie meine unangenehmen Träume verursacht.«
»Ich höre gar nichts«, sagte Jandra.
»Die Menschen sind dem Lärm gegenüber schon immer taub gewesen. Es ist ein leises Klagelied, das einige Drachen wahnsinnig macht. Glücklicherweise ist es schwach. Wenn die Fenster in diesem Zimmer Scheiben hätten, würde man vermutlich gar nichts hören.«
»Hmmm«, sagte Jandra. »Ich möchte gern etwas ausprobieren. Darf ich dein Ohr berühren?«
»Wenn du willst«, sagte Hex und schlängelte seinen Kopf näher in ihre Richtung. Die Ohren der Sonnendrachen waren tellergroße Scheiben gleich hinter den Kiefern. Allein wegen der schieren Größe des Ohres konnten sie Geräusche hören, die den Menschen entgingen. Sie fuhr sanft mit den Fingern
über den Rand der glatten Scheibe. Mit der verstärkten Empfindungsfähigkeit ihrer Fingerspitzen konnte sie eine schwache Vibration spüren. Hex bildete sich das also nicht ein. Der Lärm war wirklich vorhanden, und er kam aus der Richtung, in der sich das nebelverhangene Gebirge befand. Was verursachte ihn?
»Ich kann dir vielleicht helfen«, sagte sie. »Vendevorex hat mir erklärt, dass der Klang so durch die Luft wandert wie Wellen durch Wasser. Man kann Klänge aufheben, indem man eine Gegenwelle erzeugt, so wie man die Wellen zerstören kann, die von einem ins Wasser geworfenen Stein stammen, indem man einen zweiten Stein hinterherwirft.«
Sie tauchte ihre Finger in den Beutel an ihrem Gürtel und holte eine Faust voll mit Silberstaub heraus. Die winzigen Maschinen waren der Schlüssel zu
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